Ausradiert: Thriller (German Edition)
entzifferte mühsam seine eigene Handschrift, »Ms. Betsy Matsu.«
Betsy Matsu: die Volleyballtrainerin.
Nick und Juwan hatten damals in Huntington zwei Jahre zusammengearbeitet, aber nie so glatt wie hier, nicht so eng. Juwan versenkte einen letzten Ball, der sich gemütlich in das Glas kuschelte. Im Aufzug auf dem Weg nach unten sagte er: »Ich schicke dir die Rechnung für den Champagner und den Hummersalat.«
»Ich hab nichts angerührt.«
»So witzig warst du früher nie«, sagte Juwan. »Habe ich das Trinkgeld erwähnt? Achtzehn Prozent.«
23
E ncino: Betsy Matsu – der nächste Schritt. Die Richtungsangaben, jenes Netzwerk blauer Nebenflüsse, die er immer auf Abruf parat gehabt hatte, wollten sich nicht einstellen. Auf dem Parkplatz des Airport Marriott öffnete Nick das Handschuhfach, suchte nach der Straßenkarte, warf dabei die Hallmark-Karte zu Boden. Wieder. Er klappte sie auf, las erneut die Nachricht.
Hey, Rui – wir werden uns gegenseitig helfen, okay? Bis dann, Amanda.
Sich gegenseitig bei was helfen? War das nicht eine wichtige Frage? Warum hatte er sie nicht früher gestellt? Aber vielleicht hatte er das ja, damals an dem Wochenende, als er noch … ganz war? Und vielleicht hatte er die Antwort gefunden, vielleicht hatte er sie in sein Notizbuch geschrieben. Aber in einem Code, den er nicht länger entziffern konnte, und selbst wenn er es könnte, das Notizbuch war verschwunden. Deshalb? Musste er mit dem arbeiten, was er hatte. Sich gegenseitig bei was helfen? Amanda und Rui waren wie zwei Bergleute, die in getrennten Schächten gruben. Und dann, eines Tages, hauen sie irgendwelche Felsen weg und sind zusammen.
Es ist eine Metapher, sagte Beth Franklin. Lös die Metapher auf: Ein Schacht bedeutete graben, in die Tiefe graben, aber die Tiefe von was? Der eigenen Geschichte vielleicht, oder des eigenen Lebens. Amanda und Rui, die in ihrer Vergangenheit gruben, hatten einander irgendwo da unten gefunden. Und warum hatten sie gegraben? Weil beide Hilfe brauchten. Hilfe bei was? Was war in ihren Leben schiefgegangen? Er wusste nur eins über Amanda, nur eine Tatsache, mehr nicht: Ihre Mutter wurde umgebracht. Plus das Bruchstück einer Erinnerung, das von der ursprünglichen Ermittlung übrig geblieben war, seine eigene Stimme: Es ist ein ungelöster Fall.
Hatte er ihn schon gelöst? Ihn gelöst und wusste nichts davon? Wies die Tatsache, dass Liza und Amanda wieder vereint waren, zumindest bevor sie die Miete prellten, darauf hin, dass der Fall gelöst war? Vielleicht hatte er bereits geliefert, und es gab gar keinen Fall. Hatte er Gegenargumente? Keine logischen. Aber es fühlte sich falsch an.
Finde das Mädchen und lebe. Das fühlte sich richtig an.
Aber dennoch quälte ihn ein grauenhafter Gedanke, der auf etwas anderem beruhte, das Beth gesagt hatte: Die Zeit läuft davon. Er und Beth hatten eine Menge gemeinsam, beide schwanger – Beth mit einem Baby, er mit Glioblastoma multiforme, Grad IV –, und die Uhr lief ab. Er musste sich organisieren, die Lücken des verlorenen Wochenendes füllen, die Bruchstücke an Beweisen, die er besaß, systematisch auswerten. Schnell, schnell, schnell. Nick beschleunigte innerlich, äußerlich blieb er reglos. Ein unvertrautes Gefühl. War das Panik?
Nennst du das nachdenken, Nikolai? Nennst du das systematisch?
Die Stimme seines Vaters, so real, sie erklang nicht in seinem Kopf, sie erklang irgendwo anders. Das machte es so einfach zu antworten.
»Was ist an meiner Art zu denken falsch?«
Du hast den nächsten Schritt bereits vollkommen vergessen.
Der nächste Schritt. Das war …
Betsy Matsu. Natürlich: Wie hatte er sich so im Kreis drehen können? Er wartete auf mehr – Hilfe? Ratschläge? Einmischung? Sabotage? –, aber die Stimme schwieg, schwieg nicht nur, war abwesend; der Unterschied zwischen einer Person, die schwieg, und einer Person, die nicht da war.
Der nächste Schritt: Trainerin Betsy Matsu, die Volleyballverbindung. Vielleicht war schon in einer Stunde alles auf einfachste Weise erledigt, würden er, Liza und Amanda gemeinsam in einem Spezialitätenrestaurant am Ventura Boulevard zu Abend essen. Nick steckte den Schlüssel in die Zündung und hatte im selben Moment eine weitere Schwangerschaftsphantasie, zusätzlich zu der grauenhaften: Was, wenn er und Billie Beths Baby adoptierten?
Nick zögerte, die Hand am Schlüssel, Schlüssel in der Zündung. Seine Lider wurden sehr schwer, sehr rasch, als wäre die
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