Ausreißer
zog eine nach der anderen auf, sah hineinund schloss sie wieder. Werkzeuge aller Art, faltbare Reifen, Schläuche, Öle, Fette, Ketten, Zahnräder, alle nur erdenklichen
Ersatzteile.
»Hier kann man sich ja ein komplett neues Rad zusammenbauen.« Dann zog sie die Schubladen auf der anderen Seite. Pflaster,
Mullbinden . . . Sie hielt inne – und grinste.
»Das ist etwas für dich, Ilka«, lachte sie. »Dage gen kannst du dein Notfalltäschchen aber vergessen!«
Ilka hielt nun auch nichts mehr. Sie kletterte in den Van hinein und zog staunend die Schubladen auf der Sanitätsseite. Sie
fand Eissprays, Schmerzsprays, Muskelsalben, Jod und auch Spritzen.
»Uuuuh«, schüttelte sich Linh. »Die machen einem ja echt Lust aufs Radfahren!«
Ilka schob die Schublade wieder zu. Und stutzte. Sie zog sie wieder auf, griff in die Schublade und holte ein Tablettenröhrchen
hervor. »Schau mal.«
»Und?« Linh wusste nicht, was daran Besonderes sein sollte. Die ganze Wand war doch mit medizinischen Utensilien vollgestopft.
Warum keine Tabletten?
»Aber nicht beschriftet«, stellte Ilka fest.
Linh zog achtlos die Schultern hoch. »Der Arzt wird wissen, was es ist.«
»Ach ja?«, widersprach Ilka. »Und auch, wie lange es haltbar ist?«
Nun stutzte auch Linh.
Ilka setzte nach. »Meine Mutter beschriftet jede Kartoffel, die sie einfriert, weil man total schnell vergisst, wann man sie
in die Truhe gelegt hat. Und der Arzt glaubt aus dem Gedächtnis zu wissen, in welchem Röhrchen sich welche Tabletten befinden
und wie lange sie haltbar sind? Beschriftung ist das A und O jeder Hausapotheke!«
»Ist ja gut«, räumte Linh ein. »Ich glaub’s dir ja. Warum meinst du, ist es nicht beschriftet?« Linh sah keinen Sinn darin,
die Beschriftung wegzulassen.
Ilka schon: »Es ist nicht notwendig.«
»Wie?«, wunderte sich Linh. Eben hast du noch selbst gesagt, dass . . .«
Ilka ließ sie gar nicht ausreden, sondern setzte mit der Erklärung fort: »Man muss nichts beschriften, wenn man es sofort
verbraucht.«
Linh stutzte: »Aber was ist es? Dieses Regenerationszeug jedenfalls nicht. Das sah anders aus.«
Ilka wusste darauf keine Antwort, aber sie steckte sich eines der Tablettenröhrchen ein. Dann nickte sie Linh zu. »Komm, jetzt
raus hier!«
Kaum hatten Linh und Ilka das Teamfahrzeug verlassen, als plötzlich jemand auf den Hof kam. Er steckte sich gerade ein Handy
in die Brusttasche. Offenbar hatte er soeben telefoniert und ging nun auf der Beifahrerseite des Vans vorbei auf die Werkstatt
zu. So konnten Linh und Ilka sich wegducken, leise die Fahrertür schließen und unbemerkt abhauen. Runter vom Hof, um die Ecke
und nichts wie weg.
Jabali stemmte die schwere Metallplatte mit beiden Füßen kraftvoll von sich. Er hatte sich ordentlich Kilos auf die Beinpresse
gelegt und war stolz, dass er ein so hohes Gewicht bewältigen konnte. Er zog die Knie an und ließ auf diese Weise die Metallplatte
des Fitnessgerätes langsam zurückkommen, um sie gleich wieder nach vorn zu stemmen.
Dieses Fitness-Center war kein Vergleich zu dem kleinen Kraftraum, den sie in der Schule neben der Sporthalle hatten. Auf
1000 Quadratmetern standen die modernsten Fitness-Geräte. Jan nahm sichdie Zeit, mit Jabali zu trainieren. Und Jabali fühlte sich mit dieser Rundumbetreuung sehr wohl. Das lief doch alles erheblich
professioneller als in seiner Schule. Hier konnte er sein Talent und seine Fähigkeiten endlich einmal richtig nutzen und weiterentwickeln.
Wer hätte gedacht, dass ein so großer Hoffnungsträger als Rennradfahrer in ihm steckte? Voller Stolz und Selbstbewusstsein
stemmte Jabali noch mal die Metallplatte.
Nachher gab es wieder eine Teamfahrt, auf die Jabali sich schon sehr freute. Heute würde er Ole zeigen, was eine Harke war.
Denn insgeheim hatte Jabali sich ein Ziel gesetzt: Bis zum großen Radrennen wollte er die Position des Kapitäns im Team innehaben.
Am nächsten Nachmittag klingelten Ilka und Linh mal wieder an Jabalis Haustür. Es öffnete Jabalis kleiner Bruder Rasul. Linh
kannte ihn gut. Denn immer wenn Jabali von seinen Eltern aufgetragen bekam, auf Rasul aufzupassen, stattete Jabali Linh einen
Besuch ab. So konnte Rasul mit Linhs kleiner Schwester Huong spielen und Jabali hatte nicht nurseine Ruhe, sondern konnte auch einen Nachmittag mit Linh verbringen. Leider ging Jabalis Plan nur selten auf, denn Rasul
brachte der kleinen Huong bei Weitem nicht die gleiche
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