Ausreißer
Jabali nie Zeit hatte.
Natürlich hatten Linh und Ilka auch nicht die Zeit, rund um die Uhr vor Jabalis Haus herumzulungern. Sie waren schließlich
keine Polizeikommissare, die jemanden observierten, sondern selbst junge Sportlerinnen mit vielen Trainingsstunden, Terminen
und Verpflichtungen. Ebenso wie Lennart und Michael, die sich aber auch nicht so sehr um einen Kontakt zu Jabali bemühten
wie die Mädchen.
Michael war ohnehin nach wie vor sauer aufJabali. Und Lennart sagte sich bedauernd: Wer nicht will, der hat schon. Er sah nicht ein, weshalb er Jabali hinterherrennen
sollte, wenn der doch offensichtlich nichts von ihnen wissen wollte.
Ganz anders dagegen Ilka. Fast täglich sandte sie Jabali eine SMS, die er entweder gar nicht beantwortete oder eben nur mit
Ausflüchten: »Habe Radtraining«. »Muss in den Kraftraum«. »Bin beim Arzt«.
Wieso muss der eigentlich ständig zum Arzt?, fragte sich Ilka und hätte diese Frage endlich gern mal Jabali persönlich gestellt.
Noch immer trug sie die unbekannten Tabletten bei sich, die sie aus dem Teamwagen hatte mitgehen lassen, und wusste nicht
so recht, was sie damit anfangen sollte. Vielleicht hätte »die alte Fritz«, die Chemielehrerin Cornelia Friedrich, im Schullabor
analysieren können, um was für Tabletten es sich handelte. Aber Ilka wollte keinen großen Skandal anzetteln, bevor sie nicht
direkt mit Jabali gesprochen hatten. Obwohl auch ihr die ganze Sache von Tag zu Tag komischer vorkam.
In den vergangenen zwei Wochen waren sie und Linh nicht untätig gewesen. Zweimal hatten sie unbemerkt das Training von Jabalis
Team aufgesuchtund von fern beobachtet. Aber dabei war ihnen nichts Besonderes aufgefallen. Außer dass der Trainer und die Teambetreuer Jabali
und die anderen Teammitglieder wirklich schon fast wie Profis behandelten.
Am Samstag vor Pfingsten zählte Michael das Kleingeld in seiner Hand, während er fast blind durch die Gänge des Supermarkts
streifte. Er kannte den Weg und er wusste genau, was er wollte: zwei von diesen leckeren Fitnessriegeln mit Kokosgeschmack.
Zielgerichtet steuerte er auf das Regal mit den Riegeln zu und stoppte mitten im Laufen. Ihm war, als hätte er soeben Jabalis
Gesicht gesehen.
Michael drehte sich verwundert um. Außer ihm stand niemand im Gang. Michael schüttelte verwirrt den Kopf, wollte gerade weitergehen,
als er wieder Jabalis breites Lächeln sah. Michael rieb sich die Augen und schaute ein zweites Mal sehr genau hin. »Das gibt
es doch nicht!«, rief er aus. Und nahm die Cornflakes-Packung aus dem Regal, die seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.
Er konnte noch immer nicht glauben, was er da Bunt auf Weiß sah: Jabali grinste ihn von der Cornflakes-Packungaus an. Sein Foto prangte genau neben dem Logo und dem Versprechen, dass diese Cornflakes supergesund seien, für Sportler
genau das Richtige, dass sie fit machten und bei keinem Frühstück fehlen durften.
Das mussten seine Freunde sehen! Unbedingt. Er verabschiedete sich innerlich von seinen Lieblingsriegeln und ging stattdessen
mit der Cornflakes-Packung zur Kasse und zahlte.
Die gleiche Packung sorgte nicht allzu weit vom Supermarkt entfernt für große Begeisterung. Jabali und sein Team hatten sich
zur Trainingsfahrt getroffen. Kurz bevor es losging, holte der Trainer die Packung aus seiner Tasche und zeigte sie den Schülern.
»Habt ihr schon gesehen?«, fragte er. »Die sind ab heute im Verkauf!«
Jabali staunte. Natürlich war er mit den anderen zusammen beim Fototermin gewesen, aber irgendwie hatte er sich trotzdem nicht
vorstellen können, eines Tages tatsächlich auf einer Cornflakes-Packung zu erscheinen. Es war ein komisches Gefühl, plötzlich
sein eigenes Gesicht dortzu sehen, wo normalerweise irgendwelche Zeichentrickfiguren herumturnten.
»Cool«, fand Ole.
Auch Sven und die anderen waren hin und weg.
»Ab jetzt seid ihr kleine Stars«, lachte Jan und verteilte an jeden ein Stück Papier. »Eure Schecks!«
Jabali starrte auf das Papier in seiner Hand. »Mein was?« Er hielt wahrhaftig einen Scheck in seiner Hand. Ausgestellt auf
seinen Namen. Und in einem Kästchen die Summe: 500 Euro. In Worten: fünfhundert!
»Euer Anteil an der Werbeaktion. Für die Fotos von euch«, erklärte der Trainer. Und fragte grinsend nach: »Hatte ich das nicht
erwähnt?«
Nein, das hatte er nicht.
Um Jabali herum brach tosender Jubel aus. Jabali war regungslos vor Staunen. So viel Geld
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