Aussortiert
um
Futter bettelten.
Den Kinderspielplatz fand
Kistner menschenleer vor, und er setzte sich auf eine der Schaukeln,
wippte ein bißchen. Eine klare Nacht, mit vielen Sternen. Er sah
Ahmed Müller-Dogan den fast unbeleuchteten Uferweg herankommen und
blieb lässig auf der Schaukel sitzen, sehr gespannt darauf, aus
welchem Grund der angebrannte Halbkanake erneut seine Zeit stehlen wollte.
Wehe, wenn das kein guter Grund sein würde. Ahmed hielt etwas in der
Hand, ein Päckchen, nein, kein Päckchen, einen, Kistner setzte
seine Brille auf, einen Ziegelstein, aha. War das überhaupt Müller-Dogan?
Dann ging alles zu schnell,
um gedanklich verarbeitet zu werden, der Ziegelstein kam in seltsam überhöhter
Geschwindigkeit auf Kistner zu, traf ihn an der Stirn. Schwarz und stumm.
Schreien, bitte. Protestieren. Leben. Verbindung gekappt. Null und nichts.
Nichts, nichts. Ein winziger Blitz am Horizont. Dunkel. Fettes,
aufdringliches, endloses Schwarz.
Fernes Rumoren, wie
stotternde Motorengeräusche. Schmerz, aber körperlos fern, wie
ein Schatten, der zum Körper nicht mehr vordringt. Als tiefer Bordun
unter feindlichem Schwarz. Das winzige Bild von zitternden Lichtern auf
unbewegtem Wasser. Kistner erlangte noch einmal das Bewußtsein und
schrie, hatte aber das beängstigende Gefühl, dieser Schrei sei
nicht mit der dazu passenden Lautstärke verbunden. Sein Mund, der
atmen wollte, lag unter Wasser, und während er schrie, ließ er
aus seinen Lungen Luft ab, die er zum Weiterleben bitter nötig gehabt
hätte, allerletzte Luft, die durch Wasser ersetzt wurde, bis sein
Kopf noch einmal zuckte und für immer Ruhe gab.
Am anderen Ufer waren die
Menschen zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um vom Geschehen etwas
mitzubekommen, zudem lag der Tatort im Dunkel, und selbst wer seine Augen
angestrengt hätte, hätte höchstens Konturen wahrgenommen.
Der Tote wurde erst gegen fünf Uhr morgens von einem alkoholisierten
Penner gefunden, der Mühe hatte, mit gelallten Fragmenten von Worten
seinen Fund glaubhaft zu machen.
Auf Kistners linkem
Oberschenkel klebte ein Schildchen. Zu laut, die Drecksau, für Gott.
Aussortiert. Gloria in excelsis.
Endlich kam Bewegung in den
Fall. Vielleicht zuviel Bewegung auf einmal. Hier lag ein Motiv vor. Ein
Motiv! Der Killer hatte seinem Kritiker auf direkteste Art geantwortet.
Das würde nicht nur Schlagzeilen, das würde Verfilmungen nach
sich ziehen.
Die Journaille überschlug
sich mit erschüttert tuenden Nachrufen, mit Solidaritätsbekundungen
für den toten Kollegen, wie verhaßt er den meisten zuvor auch
gewesen war. Selbst überregionale Blätter stellten fallbezogene
Berichterstatter ab. So bestürzt sich die Medien auch gaben, im
Hintergrund war Jubel zu hören. Das alles auch noch im Sommerloch!
Erste Vergleiche mit Jack the Ripper konnte man lesen.
Nabel wurde um sechs Uhr
morgens herausgeklingelt. Er mußte ›die ganze Scheiße‹
ohne Lidias Hilfe durchstehen, hielt sich kaum auf den Beinen, delegierte,
was zu delegieren möglich war, und verweigerte jedes Interview.
Kistners Leiche lag im
Uferbuschwerk, mit dem Oberkörper im Wasser. An den Knöcheln
waren Rattenbisse zu erkennen. Ein ungefährer Todeszeitpunkt wurde
mit vor Mitternacht angegeben. Wäre Ahmed nicht so solariumsgebräunt
gewesen, hätte man sehen können, daß es ihm nicht gut
ging.
»Chef, das gefällt
mir überhaupt nicht. Ich habe Kistner gestern mittag hier, genau hier
getroffen. Hier, verstehst du? Hier, auf dem Boden, auf dem wir jetzt
stehen.«
»Was du nicht sagst?«
»Das kann doch kein
Zufall sein, oder?«
»Nö. Was weiß
ich? Versuch mal, Kistners Terminplan zu bekommen, ja?«
Ahmed fuhr zum Verlag,
stellte sich vor und sprach mit Kistners Assistentin. Es kam zu einer
skurrilen Situation. Ahmed fragte, ob Kistner spät noch einen Termin
gehabt habe.
»Ja doch«, sagte
die verwirrte Frau Hagenbeck. »Was fragen Sie denn?«
»Mit wem und wo?«
»Na hören Sie mal,
mit Ihnen!«
»Verzeihung, Sie haben
mich nicht verstanden, ich meinte keine Termine tagsüber, sondern spät,
spätabends.«
»Was? Wie bitte?«
»Ähmm …«
Ratloses Schweigen auf beiden
Seiten.
Frau Hagenbeck griff hinter
sich und öffnete die Mailablage, druckte das Mail aus, das Ahmed
gestern um 17.07 Uhr in den Verlag gesandt hatte. Ahmed starrte lange
darauf, versuchte zu verstehen,
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