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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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geschrieben, dessen Text geschickt gewählt ist, finde
     ich. Es macht neugierig, ganz unabhängig davon, wie unser erstes
     Gespräch verlaufen ist.«
    »Woher«, warf
     Lidia ein, »wußte er deinen Namen?«
    »Hmm. Vielleicht hat er
     danach mich verfolgt.«
    Lidia und Nabel sahen sich an
     und zogen Fratzen.
    »Das ist ne Räuberpistole.«
     Nabel tat den Vorschlag ab.
    »Es sei denn«,
     meinte Lidia, »der Mörder hat Ahmed gekannt. Das ist nicht völlig
     unwahrscheinlich. Wenn er schon mal mit dem Gesetz zu tun hatte, kann es
     sein, daß …«
    »Jaja, kann sein. Aber
     ein großer Zufall wäre es doch.«
    »Hmm.«
    »Hmm.«
    Ein paar Minuten lang
     herrschte intensives Schweigen im Raum. Dann schnalzte Nabel mit der Zunge
     und ließ Frau Hagenbeck wieder hereinkommen und Platz nehmen.
    Ob Kistner das Treffen mit
     Herrn Müller-Dogan irgendwo notiert habe?
    Selbstverständlich, Herr
     Kistner habe streng Buch geführt und sich jede Taxiquittung bezahlen
     lassen.
    »Hat er das schriftlich
     gemacht?«
    »Wie soll man denn
     sonst Buch führen?« Die arme Frau begann erneut zu weinen und
     entschuldigte sich mit Gesten für ihren zu unwirsch geratenen
     Einwand.
    »Jaja, schon gut, ich
     meine: in welcher Form schriftlich? Handschriftlich, getippt, PC?«
    »Er hat mir das
     diktiert, nicht wahr, und wenn ich Zeit dazu hatte, hab ichs in den PC
     getippt.«
    »Und? Hatten Sie die
     Zeit?«
    »Ja, sicher.«
    »Würden Sie uns
     das einmal zeigen? Die Datei?«
    Frau Hagenbeck zögerte,
     dann tippte sie das Paßwort ein, so schnell, daß ihren Fingern
     kein Auge folgen konnte. »Hier bitte: sein persönlicher Ordner
     mit Terminplan.«
    »Verzeihung: Sagen Sie
     mir das Paßwort bitte?«
    »Muß ich das?«
    »Ja, das müssen
     Sie.«
    Frau Hagenbeck setzte einen
     Blick auf, als habe man von ihr gefordert, den Toten posthum zu verstümmeln.
    »Also gut: Samantha. Er
     stand früher mal auf Samantha Fox, wissen Sie …«
    »Er hatte bestimmt aber
     auch eine noch persönlichere Datei, zu der nur er selbst das Paßwort
     wußte?«
    »Ja, wahrscheinlich. Da
     kann ich Ihnen allerdings nicht weiterhelfen. Dieses Paßwort hat er
     mit ins Grab genommen.«
    »Vorerst nur in die Kühlkammer.«
    »Was?«
    »Nichts. Frau
     Hagenbeck, halten wir fest: Es gibt eine Datei, mit Paßwort
     Samantha, da steht der Name Ahmed Müller-Dogan drin.«
    »Ja.«
    Nabel telefonierte mit dem
     Revier und ließ zwei Leute kommen, die Kistners beschlagnahmten PC
     abholen sollten. Dies rief bei der dicklichen Frau harsche Proteste
     hervor. Ihr wachsgelbes Gesicht verfärbte sich tiefrot, sie hämmerte
     mit Fäusten auf den Schreibtisch.
    »Das dürfen Sie
     nicht! Sowas geht gegen die, die Presse-, die Journalisten-, die
     Gedankenfreiheit, was auch immer.«
    Nabel schüchterte die
     Dame ein. »Doch, liebe Frau, bei ermordeten Journalisten dürfen
     wir das.«
    »Ich werde dies auf
     jeden Fall umgehend in der Chefetage melden. Umgehend.«
    »Bitte sehr. Vielen
     Dank für Ihre Hilfe. Ich bin sicher, daß Sie ebenso an der
     Aufklärung des Falles interessiert sind wie wir. Oder etwa nicht?«
    »Werden Sie nicht
     gemein, Sie …«
    Nabel wartete, bis die beiden
     Beamten eingetroffen waren. Frau Hagenbeck telefonierte derweil mit dem
     Ressortchef und erklärte ihm die Lage. Er kam sofort und entschied,
     daß die Polizeiarbeit durch nichts behindert werden solle. Fortan
     gab die nun wieder wachsgelbe Dame, wenn auch tief beleidigt, Ruhe. Bevor
     sie weinend zusammenbrach und Klagelaute ausstieß, die wer weiß
     welches Tier nachzuahmen versuchten.
    Abends gab es eine
     Besprechung, zu der auch Seidel stieß, mit durchgeschwitzem Hemd,
     sichtlich erregt und verwirrt. Man mußte ihm alles zweimal erklären.
     Bisher hatte es keine Pressekonferenz gegeben, und die Medienvertreter
     lungerten wie Zombies um das Revier.
    Nabel blühte zusehends
     auf und sprach davon, daß der Mörder einen Fehler begangen
     habe, daß man endlich in die Phase der Vorwärts-Ermittlung
     eingetreten sei. Das könne man der Presse mitteilen, auf Details
     solle man vorerst verzichten. Der Tod des Kolumnisten war sogar der
     Tagesschau anderthalb Minuten Sendezeit wert.
    Seidel schien überaus
     nervös. Kistners tragisches Ende sei schließlich eine Folge der
     Kontaktaufnahme durch Ahmed gewesen, man müsse schwer aufpassen, daß
     hier keine seltsamen Gerüchte entstünden, er sehe die
     Schlagzeile schon vor sich: Was hat die Polizei zu

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