Aussortiert
entrüstet
ein. Natürlich, antwortete Lidia, aber wenn man nur winzige
Anhaltspunkte habe, müsse man eben von denen ausgehen. Nabel schüttelte
den Kopf. Er hielt das für Küchenpsychologie nach Vorschrift,
wollte Lidia jedoch nicht kränken.
Gegen 22.30 ließ er
sich von Ahmed an den Kanal fahren, er wollte sich davon überzeugen,
daß man vom anderen Ufer aus nicht viel sehen konnte, und dem war
tatsächlich so. Hinten in Ahmeds Wagen lagen die 4000 Seiten. Ahmed
half dabei, sie in Nabels Wohnung hinaufzuschleppen.
»Willste das wirklich
alles durchackern, Chef?«
»Nee. Muß.«
»Soll ich dir helfen?«
»Schon gut. Danke
dennoch. Sag im Revier Bescheid, daß ich morgen was später
komm.«
»Klar, Chef.«
Die Aufgabe erwies sich als
gar nicht so schwer. Zwei Dateien waren betitelt mit Dossier A – K
und Dossier L – Z. Nicht gerade Sprengstoff, aber unappetitlich.
Hier waren von über siebentausend Prominenten, die meisten aus
Deutschland, Karteien abgelegt, mit biographischen Daten und
Sonderinformationen, die teilweise Intimstes festhielten, gut Vergessenes
ebenso wie künftig noch Verwertbares. Stand ein Fragezeichen
dahinter, mußte es sich um wilde, bislang unbewiesene Spekulationen
handeln. Manches war albern, anderes verfänglich, einiges durchaus
justiziabel. Einmal hieß es, der Schiedsrichter H. unterhalte
Kontakt zur kroatischen Mafia, ein andermal, der Kolumnist K. liebe es,
von Knaben in HJ-Uniform ausgepeitscht zu werden, oder, ein harmloses
Beispiel, Schauspielerin P. leide unter starkem Harndrang und müsse
am Set alle zwanzig Minuten Pinkelpause machen.
Nabel konnte die Dossiers nur
überfliegen, aber er fühlte sich als ihr neuer Besitzer amüsiert
und mächtig. Wer weiß, wozu ihm das in der Zukunft noch dienen
konnte. Sogar seinen eigenen Namen fand er darin. KHK Nabel. Hängt an
der Flasche. Geschieden von Anna N. – seither bindungslos und
beruflich desorientiert. Zyniker. Hang zum Sentimentalen. Zur
Mordkommission gewechselt aufgrund übertriebener emotionaler
Opferidentifikation beim Dezernat Raub und Erpressung.
Nabel wurde bleich und erhob
sein Glas Chianti auf den Mörder. »Grazie!«
Die beiden Dossiers umfingen
etwa 3800 Seiten. Die dritte Datei war T. V. B. T. betitelt und nicht so
leicht zu begreifen. Hier standen Abkürzungen von Namen, FP, HK, LZ,
AC, JI usw. neben Ziffern, die irgendwas bedeuteten, und Ziffern, die man
leicht als Datierungen deuten konnte, z. B. 10/01/02.
Am Ende der Datei fand Nabel
eine Liste mit Vornamen und abgekürzten Nachnamen.
Über der Liste stand, in
Fettschrift: Krüge.
Nabel ging die Liste, es war
kurz vor fünf Uhr morgens und schon hell, vorm Schlafengehen durch,
sie enthielt an die hundert abgekürzte Namen, manche mit einem Kreuz
oder einem Buchstaben dahinter, zum Beispiel R. M. – +. oder M. F-c.
Das sagte ihm nichts, aber
instinktiv fühlte er, daß diese Liste von enormer Wichtigkeit
war.
Stand da etwa Kai N.? Nein,
zum Glück nein, aber Lidia R. KOK.
Nabel beschloß, auf
Schlaf in dieser Nacht zu verzichten. Der Alkohol indes stützte sich
väterlich und schwer auf seine Schultern und legte ihm nahe, den
Beschluß zu überdenken.
Lidia hatte nunmal das Pech
gehabt, einen italienischen Vater zu haben, der sie Lidia, nicht Lydia
getauft hatte, eine recht seltene Schreibweise, und sie war eine KOK, eine
Kriminaloberkommissarin. Keine vorschnellen Schlüsse, ermahnte sich
Nabel, keine vorschnellen Schlüsse.
Ihm wurde schlecht. Stand
Lidia tatsächlich auf Kistners Informantenliste? Und wenn? Würde
er sie deshalb weniger lieben? Er erfand bereits passable Entschuldigungen
für ihr Handeln, den bitteren Geschmack auf der Zunge wurde er davon
nicht los. Viel schlimmer war, daß er sich rasender Kopfschmerzen
erwehren mußte, denen auch drei Gläser Single Malt Whiskey
nichts entgegensetzen konnten. Im Gegenteil.
9
Ahmed, als Jüngster im
Team, nahm sich die Hackerszene vor, wobei er sich kaum an einen Fall
erinnern konnte, in dem ein Hacker als Gewaltkrimineller aufgefallen wäre.
Diese Stubenhocker und Bildschirmnerds waren gewöhnlich, selbst wo
sie bösartig waren, quasi an ihren Tastaturen festgeschraubt und
mieden überflüssige Frischluftzufuhr.
Das mache die Sache doch nur
einfacher, meinte Nabel, um nach der einen großen Ausnahme zu
suchen.
Die Schweinezeitung schickte
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