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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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entrüstet
     ein. Natürlich, antwortete Lidia, aber wenn man nur winzige
     Anhaltspunkte habe, müsse man eben von denen ausgehen. Nabel schüttelte
     den Kopf. Er hielt das für Küchenpsychologie nach Vorschrift,
     wollte Lidia jedoch nicht kränken.
    Gegen 22.30 ließ er
     sich von Ahmed an den Kanal fahren, er wollte sich davon überzeugen,
     daß man vom anderen Ufer aus nicht viel sehen konnte, und dem war
     tatsächlich so. Hinten in Ahmeds Wagen lagen die 4000 Seiten. Ahmed
     half dabei, sie in Nabels Wohnung hinaufzuschleppen.
    »Willste das wirklich
     alles durchackern, Chef?«
    »Nee. Muß.«
    »Soll ich dir helfen?«
    »Schon gut. Danke
     dennoch. Sag im Revier Bescheid, daß ich morgen was später
     komm.«
    »Klar, Chef.«
    Die Aufgabe erwies sich als
     gar nicht so schwer. Zwei Dateien waren betitelt mit Dossier A – K
     und Dossier L – Z. Nicht gerade Sprengstoff, aber unappetitlich.
     Hier waren von über siebentausend Prominenten, die meisten aus
     Deutschland, Karteien abgelegt, mit biographischen Daten und
     Sonderinformationen, die teilweise Intimstes festhielten, gut Vergessenes
     ebenso wie künftig noch Verwertbares. Stand ein Fragezeichen
     dahinter, mußte es sich um wilde, bislang unbewiesene Spekulationen
     handeln. Manches war albern, anderes verfänglich, einiges durchaus
     justiziabel. Einmal hieß es, der Schiedsrichter H. unterhalte
     Kontakt zur kroatischen Mafia, ein andermal, der Kolumnist K. liebe es,
     von Knaben in HJ-Uniform ausgepeitscht zu werden, oder, ein harmloses
     Beispiel, Schauspielerin P. leide unter starkem Harndrang und müsse
     am Set alle zwanzig Minuten Pinkelpause machen.
    Nabel konnte die Dossiers nur
     überfliegen, aber er fühlte sich als ihr neuer Besitzer amüsiert
     und mächtig. Wer weiß, wozu ihm das in der Zukunft noch dienen
     konnte. Sogar seinen eigenen Namen fand er darin. KHK Nabel. Hängt an
     der Flasche. Geschieden von Anna N. – seither bindungslos und
     beruflich desorientiert. Zyniker. Hang zum Sentimentalen. Zur
     Mordkommission gewechselt aufgrund übertriebener emotionaler
     Opferidentifikation beim Dezernat Raub und Erpressung.
    Nabel wurde bleich und erhob
     sein Glas Chianti auf den Mörder. »Grazie!«
    Die beiden Dossiers umfingen
     etwa 3800 Seiten. Die dritte Datei war T. V. B. T. betitelt und nicht so
     leicht zu begreifen. Hier standen Abkürzungen von Namen, FP, HK, LZ,
     AC, JI usw. neben Ziffern, die irgendwas bedeuteten, und Ziffern, die man
     leicht als Datierungen deuten konnte, z. B. 10/01/02.
    Am Ende der Datei fand Nabel
     eine Liste mit Vornamen und abgekürzten Nachnamen.
    Über der Liste stand, in
     Fettschrift: Krüge.
    Nabel ging die Liste, es war
     kurz vor fünf Uhr morgens und schon hell, vorm Schlafengehen durch,
     sie enthielt an die hundert abgekürzte Namen, manche mit einem Kreuz
     oder einem Buchstaben dahinter, zum Beispiel R. M. – +. oder M. F-c.
    Das sagte ihm nichts, aber
     instinktiv fühlte er, daß diese Liste von enormer Wichtigkeit
     war.
    Stand da etwa Kai N.? Nein,
     zum Glück nein, aber Lidia R. KOK.
    Nabel beschloß, auf
     Schlaf in dieser Nacht zu verzichten. Der Alkohol indes stützte sich
     väterlich und schwer auf seine Schultern und legte ihm nahe, den
     Beschluß zu überdenken.
    Lidia hatte nunmal das Pech
     gehabt, einen italienischen Vater zu haben, der sie Lidia, nicht Lydia
     getauft hatte, eine recht seltene Schreibweise, und sie war eine KOK, eine
     Kriminaloberkommissarin. Keine vorschnellen Schlüsse, ermahnte sich
     Nabel, keine vorschnellen Schlüsse.
    Ihm wurde schlecht. Stand
     Lidia tatsächlich auf Kistners Informantenliste? Und wenn? Würde
     er sie deshalb weniger lieben? Er erfand bereits passable Entschuldigungen
     für ihr Handeln, den bitteren Geschmack auf der Zunge wurde er davon
     nicht los. Viel schlimmer war, daß er sich rasender Kopfschmerzen
     erwehren mußte, denen auch drei Gläser Single Malt Whiskey
     nichts entgegensetzen konnten. Im Gegenteil.

 
    9
    Ahmed, als Jüngster im
     Team, nahm sich die Hackerszene vor, wobei er sich kaum an einen Fall
     erinnern konnte, in dem ein Hacker als Gewaltkrimineller aufgefallen wäre.
     Diese Stubenhocker und Bildschirmnerds waren gewöhnlich, selbst wo
     sie bösartig waren, quasi an ihren Tastaturen festgeschraubt und
     mieden überflüssige Frischluftzufuhr.    
    Das mache die Sache doch nur
     einfacher, meinte Nabel, um nach der einen großen Ausnahme zu
     suchen.
    Die Schweinezeitung schickte
    

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