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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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fragen, bei welcher Gelegenheit sie denn
     jemals soviel Bargeld bei sich tragen würde.
    »Wie bitte?« Die
     Gräfin, die noch vor nicht allzu vielen Jahren kaum in der Lage
     gewesen wäre, im KaDeWe ohne seelische Not auch nur einen Bleistift
     zu erwerben, stemmte in eher unaristokratischem Gestus beide Fäuste
     in die Hüften. Ihr Gesichtsausdruck war mit nahezu fassungslos zu
     umschreiben. Sie höre wohl nicht recht, was er sich einbilde, er
     solle sich hüten, mit ihr zu reden wie mit dem Geschmeiß auf
     der Straße. Pfeifer versuchte, abzuwiegeln, er habe das so nicht
     gemeint, auf keinen Fall, sie möge sich bitte beruhigen, er zweifle
     nicht an ihrer Liquidität. Aber letztere Feststellung schien die Gräfin
     nur noch mehr zu erbosen, sie nannte Pfeifer einen kläffenden Hund,
     der anscheinend vergessen habe, wo seine Hütte sei.    
    »Bitte, Anita …«
    »Für Sie immer
     noch Frau Gräfin! Wagen Sies nicht noch einmal, mich beim Vornamen
     anzusprechen! Soweit kams einmal und nie wieder!«
    Der völlig verdatterte
     Pfeifer wußte nicht, wie ihm geschah. Diese Frau brachte das Kunststück
     fertig, sich gleich einer Wahnsinnigen zu echauffieren, ohne deshalb mit
     wilden Bewegungen oder zu großer Lautstärke Aufsehen zu
     erregen. Das Hysterische vermittelte sich einzig durch die Bewegung ihrer
     Augen und der rotgeschminkten Lippen Sie wirkte zugleich außer sich
     und dabei doch völlig kontrolliert, fast steif.
    Er sei nicht länger vonnöten,
     ließ ihn die Gräfin wissen, sie werde fortan selbst mit Ümal
     reden, und jetzt solle er ihr aus den Augen gehen, aber plötzlich,
     ansonsten sie ihn hochgehen lasse. Sprachs und ließ Pfeifer stehen,
     drehte sich um, warf mit geübtem Schwung ihr Pradahandtäschchen
     vom Bauch auf den Rücken und stolzierte davon. Pfeifer fühlte
     sich nicht mehr mächtig, nur mißbraucht und gelinkt, aber
     irgendwie, als die Demütigung nach Stunden langsam abklang, auch
     erleichtert.

 
    7
    Wie sollte man das gegenüber
     der Presse behandeln? Nabel bat Frau Hagenbeck um absolute Diskretion.
     Gegen 15 Uhr erreichte er die wiedererwachte Lidia und bat sie dringend in
     den Verlag, nicht so sehr, weil er sie brauchte, sondern weil er die
     beispiellose Angelegenheit gewissermaßen mit ihr teilen wollte.
    »Also, Frau Hagenbeck,
     nochmal: Sie sagen, Sie haben ein Mail erhalten. Absender:
     [email protected]. Ahmed, hast du dieses Mail verschickt?«
    »Nein, natürlich
     nicht, Chef.«
    »Ich nehme an, es gibt
     nicht allzu viele Müller-Dogans in dieser Republik. Daß es sich
     um einen Namensvetter handelt, kann wohl ausgeschlossen werden. Weiterhin
     nehme ich an, daß sich jeder unter dem Namen Müller-Dogan bei
     gmx.de anmelden darf, ohne daß da irgend etwas nachgeprüft
     wird.«   
    »Klar, Chef.«
    Der Fall nahm eine brisante
     Wendung. Eine sehr brisante.
    »Frau Hagenbeck, würden
     Sie uns einen Moment entschuldigen?«
    »Bitte sehr!« Die
     schon über fünfzigjährige, dickliche und resolut wirkende
     Frau blieb auf ihrem Drehstuhl sitzen. Stille Tränen kullerten aus
     ihren Augwinkeln.
    »Ich meine, würden
     Sie so freundlich sein und das Zimmer für einen Moment verlassen? Wir
     rufen Sie dann wieder herein. Und bitte: Keine Äußerungen gegenüber
     der Presse.«
    Frau Hagenbeck räumte
     ihren Arbeitsplatz nur unter Seufzen, Schluchzen und Murren; gerade als
     sie das Zimmer verließ, trat Lidia durch die Tür.
    Nabel erklärte ihr mit
     wenigen Worten den jüngsten Stand der Dinge, behandelte sie ansonsten
     wie eine Zuspätgeborene, der das Entscheidende leider entgangen war.
     Insgeheim, also sehr tief in seinem Inneren, war er wütend, weil
     Lidia ihre Telefone, Festnetz wie Handy, ausgesteckt bzw. ausgeschaltet
     und ihn im Stich gelassen hatte.
    »Ahmed, denk nach: Der
     Mörder hat dich bzw. deinen Namen dazu benutzt, Kistner an den Tatort
     zu locken. Wie kann das sein?«
    »Jemand muß uns
     zusammen gesehen haben«, schlug Ahmed kleinlaut vor.
    »Unwahrscheinlich, aber
     nicht völlig unmöglich. Ich meine, daß euch irgendwer
     zusammen sieht, ist nicht unwahrscheinlich, aber ausgerechnet der Mörder?
     Es sei denn, er hätte Kistner oder dich observiert.«
    »Naja«, stotterte
     Achmed, »für mich ergibt das Sinn. Der Killer hatte Kistner auf
     dem Kieker, weil der ihn zur Sau gemacht hat, er hat ihn beobachtet und
     verfolgt und hat mich mit ihm zusammen gesehen. Und dann – dann hat
     er dieses Mail

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