Aussortiert
der Presse? Nabel, denken Sie nach! Immerhin:
Auch wenn er nicht vorbestraft ist. Er schweigt. Warum? Wenn er nichts auf
dem Kerbholz hat.«
»Morgen verhören
wir Kursun nochmal. Vielleicht ergibt sich ein neuer Gesichtspunkt. Mit
Tricks können wir ihn bis Dienstag einbehalten. Aber das richtige
Subjekt für Ihre Präsentationstheorie ist er langfristig nicht.«
»Wofür?«
Seidel kniff die Augen zusammen.
»Na, was Sie mir auf
der Weihnachtsfeier gesagt haben, wissen Sie doch …«
»Nein, weiß ich
nicht! Keine Ahnung. Ich habe nie auf einer Weihnachtsfeier mit Ihnen
geredet, Nabel, daß das klar ist! Lassen Sie sich was Konstruktives
einfallen!«
Nabel traf sich später
am Abend mit Lidia in deren Wohnung. Sie litt unter Verspannungen,
Kopfschmerzen und Appetitlosigkeit, wie immer, wenn etwas hinten und vorn
nicht zusammenpaßte und es ihr nicht gelang, hinter den Dreh zu
kommen.
»Was«, fragte sie
müde, »sagen die Graphologen?«
»Sagen, kann sein, kann
nicht sein. Verstellte Handschriften sind schwer zuzuordnen.«
Lidia meinte, stutzig habe
sie schon die Tatsache gemacht, daß es eine Pistole mit Schalldämpfer
war, die gefunden wurde, das hätte es ja schon mal gegeben. Der
Killer habe bisher seinen Variantenreichtum demonstrieren wollen. Apropos
Pistole. Ob die Ergebnisse aus der Ballistik schon vorlägen?
Nabel nickte und warf sie auf
den Tisch. Sehr interessant, meinte er, es sei eine absolut jungfräuliche
Waffe, aus der noch nie geschossen wurde. Buchstäblich nie. »Jeder,
der mit Waffen zu tun hat, würde eine neue erstmal ausprobieren,
oder?«
»Vermutlich, Kai. Was
schließt du daraus?«
»Keinen Schimmer. Laß
uns mal überlegen. Zwei Möglichkeiten drängen sich auf:
Erstens, Kursun ist ein rachsüchtiger Trittbrettfahrer und wollte
wirklich jemanden töten, und zwar am wahrscheinlichsten den, der ihm
ein halbes Jahr Koma verpaßt und dafür nur Bewährung
bekommen hat. Dieser Mensch heißt Zoltan Vukovic, ein zwanzigjähriger
Serbe. Durchaus möglich, daß er an diesem Abend in der Festen
Burg zu Gast war. Paßt alles ganz gut zusammen, wenn auch die Razzia
eine grobe Zufälligkeit bleiben würde. Die zweite Möglichkeit:
Murat Kursun ist ein Strohmann. Jemand wollte uns einen Täter
liefern. Jemand wußte, daß in der Festen Burg eine Razzia
stattfinden würde und hat diesen schweigsamen Exkomapatienten
hingeschickt, mit Pistole und Aufkleber. Jemand wollte uns damit ruhig
stellen. An sich einleuchtend. Der Kerl wird gut bezahlt, schweigt
einfach, wir beißen uns an ihm die Zähne aus und vertun unsere
Zeit. Nach Wochen oder Monaten gibt er uns seinen Namen und sein Alibi und
spaziert nach Hause. Hätte klappen können. Nur daß Ahmed
ihn zufällig wiedererkannte, hat seine Identität so abartig
schnell auffliegen lassen.«
»Eine Zufälligkeit,
die nicht minder groß ist als in der ersten Möglichkeit.«
»Stimmt. Irgendwas ist
da faul. Immerhin haben wir was zu tun. Scheinbare Zufälligkeiten
erweisen sich oft als verdeckte stringente Verknüpfungen.«
»Das schreib ich mir
auf!« scherzte Lidia, zog einen Notizblock hervor und schrieb es
tatsächlich auf. Nabel nahm es hin, zündete sich eine Zigarette
an und ließ sich aus dem Automaten einen Espresso bringen. »Ich
will wissen, wem der Francis-Club gehört und was demjenigen sonst so
gehört. Denken wir uns in Kursun hinein. Wenn man seit vier Tagen
ausm Krankenhaus raus ist und Geld, Beschäftigung und Protektion
braucht, wendet man sich zuerst an seinen alten Arbeitgeber. Der
Francis-Club hat einen ziemlich üblen Ruf, nicht wahr?«
Lidia zuckte mit den Achseln.
Dieses Milieu war ihr so gut wie unbekannt.
»Hast du noch was von
dem guten Wein da?«
»Tut mir leid, Kai, ist
alle. Könntest ja mal ne Flasche mitbringen.«
»Ja, stimmt, okay, ich
–« Nabel stockte und ließ seinen Oberkörper gegen
die Stuhllehne fallen, klappte den Kopf nach hinten.
»Was ist?«
»Wir sind ganz schön
verblödet!« Nabel schlug mit beiden Handflächen auf die
Stuhllehnen.
»Red schon!«
»Warte! Laß mich
nochmal denken.«
Nabel zog die Knie hoch,
bettete seine Backen dazwischen, murmelte immer wieder genau und
allerhand. Lidia fand, daß er arg posierte, aber in seinem Alter
hatten Männer das wohl nötig. Auch mißfiel ihr, daß
er mit Straßenschuhen auf dem Polster ihres Stuhls
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