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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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der Presse? Nabel, denken Sie nach! Immerhin:
     Auch wenn er nicht vorbestraft ist. Er schweigt. Warum? Wenn er nichts auf
     dem Kerbholz hat.«
    »Morgen verhören
     wir Kursun nochmal. Vielleicht ergibt sich ein neuer Gesichtspunkt. Mit
     Tricks können wir ihn bis Dienstag einbehalten. Aber das richtige
     Subjekt für Ihre Präsentationstheorie ist er langfristig nicht.«
    »Wofür?«
     Seidel kniff die Augen zusammen.
    »Na, was Sie mir auf
     der Weihnachtsfeier gesagt haben, wissen Sie doch …«
    »Nein, weiß ich
     nicht! Keine Ahnung. Ich habe nie auf einer Weihnachtsfeier mit Ihnen
     geredet, Nabel, daß das klar ist! Lassen Sie sich was Konstruktives
     einfallen!«
    Nabel traf sich später
     am Abend mit Lidia in deren Wohnung. Sie litt unter Verspannungen,
     Kopfschmerzen und Appetitlosigkeit, wie immer, wenn etwas hinten und vorn
     nicht zusammenpaßte und es ihr nicht gelang, hinter den Dreh zu
     kommen.
    »Was«, fragte sie
     müde, »sagen die Graphologen?«
    »Sagen, kann sein, kann
     nicht sein. Verstellte Handschriften sind schwer zuzuordnen.«
    Lidia meinte, stutzig habe
     sie schon die Tatsache gemacht, daß es eine Pistole mit Schalldämpfer
     war, die gefunden wurde, das hätte es ja schon mal gegeben. Der
     Killer habe bisher seinen Variantenreichtum demonstrieren wollen. Apropos
     Pistole. Ob die Ergebnisse aus der Ballistik schon vorlägen?
    Nabel nickte und warf sie auf
     den Tisch. Sehr interessant, meinte er, es sei eine absolut jungfräuliche
     Waffe, aus der noch nie geschossen wurde. Buchstäblich nie. »Jeder,
     der mit Waffen zu tun hat, würde eine neue erstmal ausprobieren,
     oder?«
    »Vermutlich, Kai. Was
     schließt du daraus?«
    »Keinen Schimmer. Laß
     uns mal überlegen. Zwei Möglichkeiten drängen sich auf:
     Erstens, Kursun ist ein rachsüchtiger Trittbrettfahrer und wollte
     wirklich jemanden töten, und zwar am wahrscheinlichsten den, der ihm
     ein halbes Jahr Koma verpaßt und dafür nur Bewährung
     bekommen hat. Dieser Mensch heißt Zoltan Vukovic, ein zwanzigjähriger
     Serbe. Durchaus möglich, daß er an diesem Abend in der Festen
     Burg zu Gast war. Paßt alles ganz gut zusammen, wenn auch die Razzia
     eine grobe Zufälligkeit bleiben würde. Die zweite Möglichkeit:
     Murat Kursun ist ein Strohmann. Jemand wollte uns einen Täter
     liefern. Jemand wußte, daß in der Festen Burg eine Razzia
     stattfinden würde und hat diesen schweigsamen Exkomapatienten
     hingeschickt, mit Pistole und Aufkleber. Jemand wollte uns damit ruhig
     stellen. An sich einleuchtend. Der Kerl wird gut bezahlt, schweigt
     einfach, wir beißen uns an ihm die Zähne aus und vertun unsere
     Zeit. Nach Wochen oder Monaten gibt er uns seinen Namen und sein Alibi und
     spaziert nach Hause. Hätte klappen können. Nur daß Ahmed
     ihn zufällig wiedererkannte, hat seine Identität so abartig
     schnell auffliegen lassen.«
    »Eine Zufälligkeit,
     die nicht minder groß ist als in der ersten Möglichkeit.«
    »Stimmt. Irgendwas ist
     da faul. Immerhin haben wir was zu tun. Scheinbare Zufälligkeiten
     erweisen sich oft als verdeckte stringente Verknüpfungen.«
    »Das schreib ich mir
     auf!« scherzte Lidia, zog einen Notizblock hervor und schrieb es
     tatsächlich auf. Nabel nahm es hin, zündete sich eine Zigarette
     an und ließ sich aus dem Automaten einen Espresso bringen. »Ich
     will wissen, wem der Francis-Club gehört und was demjenigen sonst so
     gehört. Denken wir uns in Kursun hinein. Wenn man seit vier Tagen
     ausm Krankenhaus raus ist und Geld, Beschäftigung und Protektion
     braucht, wendet man sich zuerst an seinen alten Arbeitgeber. Der
     Francis-Club hat einen ziemlich üblen Ruf, nicht wahr?«
    Lidia zuckte mit den Achseln.
     Dieses Milieu war ihr so gut wie unbekannt.
    »Hast du noch was von
     dem guten Wein da?«
    »Tut mir leid, Kai, ist
     alle. Könntest ja mal ne Flasche mitbringen.«
    »Ja, stimmt, okay, ich
     –« Nabel stockte und ließ seinen Oberkörper gegen
     die Stuhllehne fallen, klappte den Kopf nach hinten.
    »Was ist?«
    »Wir sind ganz schön
     verblödet!« Nabel schlug mit beiden Handflächen auf die
     Stuhllehnen.
    »Red schon!«
    »Warte! Laß mich
     nochmal denken.«
    Nabel zog die Knie hoch,
     bettete seine Backen dazwischen, murmelte immer wieder genau und
     allerhand. Lidia fand, daß er arg posierte, aber in seinem Alter
     hatten Männer das wohl nötig. Auch mißfiel ihr, daß
     er mit Straßenschuhen auf dem Polster ihres Stuhls

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