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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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gleich wohler. Er mochte nicht als
     derjenige gelten, der aufgrund pedantisch ausgelegter Gesetzestreue mutmaßliche
     mehrfache Mörder auf freien Fuß setzte. Vielmehr, er wollte der
     Presse nicht als Buhmann zum Opfer fallen. Andererseits gab es das Gesetz,
     und das Gesetz war für ihn nicht nur die sichere Seite, es war ihm
     eine Art Religionsersatz.
    Nabel gab sich durchweg
     pflegeleicht und kompromißbereit. »Das ist alles ganz allein
     Ihre Entscheidung, Herr Dreipfuhl. Die werde ich akzeptieren, wie immer
     sie ausfällt, was bleibt mir denn übrig?«
    Dreipfuhl begriff, daß
     ihm hier der Schwarze Peter zugeschoben wurde, und wand sich hin und her
     auf seinem Stuhl. »Wir können ja immerhin Zeit schinden. Ich
     komme Ihnen ja gern entgegen! Identifizieren Sie den Mann! Das würde
     enorm helfen. Haben wir seine Fingerabdrücke nicht in der Kartei?«
    »Nein, das wurde natürlich
     sofort überprüft.«
    »Zum Glück ist
     heute Sonntag. Damit können wir tricksen. Der zuständige
     Staatsanwalt – also ich – ist einfach nicht aufzufinden. Nehm
     ich auf meine Kappe. Unter uns, das ist ein im Grunde fieser Trick aus
     finsteren Zeiten, aber damit verlegen wir die Anhörung erstmal auf
     Dienstagmorgen, gut?«
    »Gut. Wir verstehen
     uns.«
    Nabel unterrichtete seine
     Leute von der neuen Situation, bemühte sich, die Euphorie zu dämpfen
     und zeigte ein Foto des Verhafteten herum. Lidia zog eine skeptische
     Schnute, daraufhin angesprochen, schwieg sie jedoch, als habe man ihr die
     Lippen zugenäht. Ahmed meinte, ihm komme die Fresse irgendwoher
     bekannt vor. Nabel nahm die beiden mit in den U-Haft-Trakt des Gefängnisses
     Tegel, wo ihnen kurz nach 13 Uhr der Verdächtige in Handschellen
     vorgeführt wurde. Die Presse hatte bereits Wind von der Sache
     bekommen, lungerte vor dem Gebäude herum und forderte Statements, die
     verweigert wurden.
    Der bullige Mann sah nicht
     ungefährlich aus. Auf deutsch, englisch, italienisch (Lidia), in
     gebrochenem Französisch (Kai und Lidia) und Türkisch (Ahmed)
     nach seinen Personalien befragt, schwieg er. Seine Augenbrauen waren
     zusammengewachsen, die Wangenknochen traten stark hervor. Fliehendes Kinn,
     kurzer Hals. Haarausfall im Zentrum des Schädeldaches, vulgo Platte,
     kaschiert durch quergelegte Scheitelsträhnen. Grüne Augen,
     breite Nase, volle fleischige Lippen. Verbrechervisage, hätte die
     Boulevardpresse eine solche Erscheinung flapsig kommentiert. Aber was der
     Boulevardpresse zu schreiben erlaubt war, war der Exekutive nicht mal zu
     denken erlaubt.
    Ahmed zupfte seinen
     Vorgesetzten am Ärmel, die beiden gingen kurz in den Nebenraum, während
     drinnen Lidia dem Verdächtigen einen Schokoriegel anbot, den dieser
     kommentarlos ablehnte und zum Fenster sah.
    »Ich hab den irgendwo
     schon mal gesehen, Chef.« Ahmed wurde zunehmend sicherer. Er ging
     nochmal rein, sagte laut etwas auf türkisch zu dem Mann, der
     reagierte darauf auf so konzentrierte Weise nicht, daß man das Gefühl
     bekommen mußte, er habe sehr wohl verstanden, halte sich aber, wenn
     auch mühsam, im Zaum.
    Was Ahmed ihm gesagt habe,
     wollte Nabel wissen.
    »Daß er große
     Ähnlichkeit mit ner Frau hat, die ich mal gefickt hab. Muß
     seine Schwester gewesen sein. Oder seine Mutter.«
    »Ach, Kacke, laß
     das!«
    »Wenns aber hilft?«
    »Egal, Ahmed! Das ist
     nicht unser Stil. Kennst du ihn nun, oder nicht?«
    »Ich müßte
     die Kartei durchforsten.«
    »Es hat keinen
     Datenabgleich bei den Fingerabdrücken gegeben.«
    »Ich versuch dennoch
     mein Glück, wenn ich darf.«
    »Ich weiß zwar
     nicht, was das soll, aber bitte, von mir aus. Warte hier! Du fährst
     uns nachher aufs Revier zurück.«
    »Na klar … ich
     stell mich da in die Ecke und verschränk die Arme auf dem Rücken.«
     Ahmed grummelte beleidigt, fühlte sich vom Brennpunkt ausgeschlossen
     und zum Fahrer degradiert.    
    Nabel und Lidia unterhielten
     sich noch eine Weile schweigend mit dem Tatverdächtigen. Das, indem
     sie ihm Fotos der bisherigen Opfer zeigten. Der Mann schloß einfach
     die Augen und machte sie nicht wieder auf, bis ihn der Vollzugsbeamte zurück
     in seine Zelle führte.
    Man hatte dem Häftling
     noch keinen Pflichtverteidiger zugewiesen, eine grobe Inkorrektheit, gewiß,
     andererseits hatte er bisher nach keinem verlangt, noch war einer jener
     oft unvermeidlichen Selbstdarsteller aufgetaucht, die solche Typen
     kostenlos verteidigten, nur um sich im

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