Australien 01 - Wo der Wind singt
seinen Handknöcheln in seinen Arm zu wandern, er öffnete die Augen wieder. Er sah, wie die Pferde die Ohren spitzten und hörte sie wiehern, als sich Felicitys Auto näherte. Sie hielt mit dem Wagen in der Nähe der Futterscheune und stieg dann aus.
»Ich komme ja schon, Jungs«, hörte Nick sie rufen. Ihre Stimme klang hell wie eine Glocke. Neuerdings nervte ihn das irgendwie. Sie nahm eine hellblaue Strickjacke vom Rücksitz und legte sie sich dann um ihre schmalen Schultern. In ihrer sauberen weißen Schwesterntracht, mit ihren ordentlich zurückgenommenen Haaren und ihrer blassen Haut sah sie im Licht der Nachmittagssonne sehr hübsch, aber auch sehr zerbrechlich aus. Was er ihr jetzt zu sagen hatte, war vielleicht zu viel für sie.
Aber nein. Nick wusste, dass der Eindruck der Verletzlichkeit, den Felicity bei jedem erweckte, höchst trügerisch war. Wie sollte er ihr nur sagen, dass er mit einer anderen Frau ein Kind hatte? Ein Kind . Mit Kate Webster.
Nick sah verzweifelt zu den Deckenbalken des Schuppens hinauf. Ihre gemeinsame Zukunft hätte eigentlich in den Bahnen der Sterne festgeschrieben sein sollen – heiraten, Kinder bekommen, das Land bestellen. Glücklich sein? Da war er sich nicht sicher. Er bezweifelte es mittlerweile sogar. Sorglos leben? Ja, wenn der Damm fertig war, es regnete und er verheiratet war. Dann würde er ein sorgloses Leben führen. Dann wäre er auch in der Lage, seine Eltern zu unterstützen und ihr aus dem Gleichgewicht geratenes Leben wieder ins Lot zu bringen. Aber wie sollte all das noch möglich sein, jetzt, da Kate so eng mit seinem Leben verbunden war?
Als Felicity ihren Kopf hob, um sich nach ihm umzusehen, hatte Nick das Gefühl, sich auf der Stelle übergeben zu müssen. Er schluckte heftig. Aber, schoss es ihm plötzlich in den Sinn, musste er es ihr denn wirklich sagen? Eigentlich brauchte sie es doch gar nicht zu wissen, oder? Er konnte einfach so tun, als wäre alles noch so, wie es
war, bevor Kate Webster in sein Leben getreten war. Bevor er wusste, dass dieses süße kleine Mädchen mit den langen Wimpern und den blonden Locken seine Tochter war.
Er beobachtete, wie Felicity Häcksel, Pellets und Melasse miteinander vermischte und ihre Hände dann nach Art der Ärzte gründlich unter dem Strahl eines Wasserhahns reinigte. Dann ging sie auf die Koppel und vermied dabei sorgfältig, mit ihren weißen flachen Schuhen in einen der Pferdeäpfel zu treten. Sie stellte die Futtereimer auf den Boden. Als die Pferde zu fressen begannen, holte Felicity die Satteldecken, die über dem Zaun hingen.
Nick seufzte. Er wusste, was jetzt gleich geschehen würde. Er wusste, dass sie es sofort merken würde. Er hatte die Pferde absichtlich nicht abgespritzt, als wollte er es darauf anlegen, dass alles herauskam. Was auch immer sie miteinander verband, er wollte, dass ihre Beziehung hier und jetzt auf den Prüfstand kam.
Er sah zu, wie sie die Satteldecke über Calvins Rücken legen wollte, dann plötzlich innehielt. Sie ließ die Decke fallen, als sie mit den Fingerspitzen über jene Stelle hinter den Vorderbeinen fuhr, wo der Sattelgurt gesessen hatte und wo sich deshalb eine salzige Kruste getrockneten Schweißes gebildet hatte. Sichtlich irritiert richtete sie sich auf und strich mit der Hand über die Stirn des Pferdes, dort wo das Zaumzeug aufgelegen hatte. Sie verzog nachdenklich den Mund, so als müsse sie ein Rätsel lösen, dann wandte sie sich Prince zu, um ihn sich ebenfalls genauer anzusehen. Nick sah, wie sie sich vor Zorn geradezu versteifte, als sie auch bei Prince einen Gurtabdruck entdeckte. Sie fuhr herum und suchte die Umgebung mit den Augen ab. Er drehte ihr den Rücken zu und schloss die Augen. Ihre Stimme erreichte ihn trotzdem, als er versuchte, sich wie ein ungezogener Junge im Schuppen zu verstecken.
»Nick! Niiiiick?«, schrie sie, während sie schon auf die Scheune zuging. Bevor sie durch das Tor trat, schwang sich Nick auf sein Geländemotorrad. Sie würde ihn in der Luft zerreißen, das wusste er. Ihr sonst so hübscher Mund war jetzt nur noch eine dünne, rote Linie. Ihre eisblauen Augen glitzerten vor Zorn. Nein, dachte er, als sie wie
ein Blizzard auf ihn zustürmte, er würde auf keinen Fall versuchten, ihr das mit Kate und dem Baby zu erklären. Sie würde es weder verstehen noch ihm je verzeihen.
»Was hast du mit meinen Pferden gemacht?« Sie stemmte die Hände in ihre schlanken Hüften und legte den Kopf schief.
»Das war Dads Idee«,
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