Australien 01 - Wo der Wind singt
getan. Außerdem bist du viel zu betrunken.«
»Tja, und wessen Schuld ist das wohl?«, fragte er, von ihrer Reaktion sichtlich enttäuscht.
»Meine«, antwortete sie niedergeschlagen. »Es ist alles meine Schuld. Es ist immer alles meine verdammte Schuld.«
Als Kate am nächsten Morgen aufwachte, hatte sie das Gefühl, als würde ihr Kopf platzen. Sie schwor sich, bei Janie und bei Nick alles wiedergutzumachen, und vor allem bei Nell. Noch während sie in ihrem stinkenden T-Shirt vom letzten Abend im Bett lag, beschloss sie, dass sie heute auf die Zwillinge aufpassen würde, damit Janie sich einmal einen Tag ausruhen konnte. Sie würde sogar eine große Portion Eintopf für sie kochen. Dann würde sie Nick anrufen und ihn bitten herzukommen, oder sie würde ihn fragen, ob sie ihm irgendwie auf der Farm behilflich sein könnte.
Sie schlug die Decke zurück und ging mit schwankenden Schritten ins Bad, um zu duschen. Erinnerungen an den gestrigen Tag schossen ihr durch den Kopf. Sie zuckte zusammen, als sie an die Begierde in Jonesys Gesicht dachte. An den Schmerz in Nicks Gesicht. Sie erinnerte sich nur undeutlich daran, dass sie einer der Känguru- und Fuchskusujäger aus der Gegend in seinem stinkenden Pick-up nach Hause gefahren hatte. Ihr war vom Alkohol und dem strengen Geruch der Tiere so schlecht geworden, dass sie sich aus dem Wagenfenster übergeben hatte. Jetzt fiel ihr auch wieder ein, dass ihnen der zahnlückige Kollege des Kängurujägers mit ihrem Pick-up gefolgt war und ihr noch gesagt hatte, dass sie bei ihrem Wagen die Spur einstellen lassen müsse. Und dann erinnerte sie sich schlagartig auch wieder an den Anruf, den sie am Nachmittag vom Pub aus gemacht hatte.
»Himmel!«, entfuhr es ihr, als sich der Nebel ihres Katers für kurze
Zeit etwas lichtete. Sie hatte, schon leicht betrunken vom Pub aus einen Kollegen, der Banker war, in Hobart angerufen. Sie erinnerte sich jetzt daran, dass sie mit ihrem Handy draußen vor dem Pub auf der Straße gestanden und aufgeregt auf ihn eingeredet hatte, während sie mit der Stiefelspitze Steine durch die Gegend gekickt hatte. Sie hatte ihm etwas von ihrem Sanierungsplan vorgeschwafelt und dass die Farm ihrer Familie zum Verkauf stand und dass sie seinen Rat brauchte, da sie die Farm kaufen wollte. Ob es möglich sei, gleich morgen zu ihm zu kommen und mit ihm zu sprechen? Sie erinnerte sich jetzt, wenn auch nur verschwommen, daran, dass sie einen Termin um elf Uhr in seinem Büro in Hobart vereinbart hatten – und zwar für heute.
Kate warf sich ihren Bademantel über und rannte, noch immer tropfnass, in ihr Büro, um zu sehen, ob sie sich nicht täuschte. Dort lagen, überall auf dem Boden verstreut, alle Unterlagen. Der gesamte Sanierungsplan samt Finanzierung. Sie hatte ihrem Kollegen anscheinend letzte Nacht noch das gesamte Dokument gefaxt. Außerdem hatte sie, wie sie jetzt sah, sogar noch ein paar begleitenden Zeilen dazugeschrieben: Vielen Dank, Colin, dass du alles stehen und liegen lässt und dir so kurzfristig für mich Zeit nimmst. Anbei alle Unterlagen für unseren Termin heute um elf. Kate.
Puh, dachte sie, das sah wenigstens einigermaßen professionell aus. Als sie die letzte Seite aufhob, verzog sie jedoch das Gesicht. Sie hatte ein paar Umarmungen, Küsse und einen Smiley unten auf die Seite gezeichnet und Bis dann, Colin-Baby! daruntergeschrieben.
Sie warf einen kurzen Blick auf die Uhr über ihrem Schreibtisch und seufzte. Sie müsste Janie bitten, noch ein wenig länger auf Nellie aufzupassen.
Kate nahm den Telefonhörer in die Hand. Bei dem Gedanken, mit Janie zu sprechen, Janie, die alles Recht der Welt hatte, wütend auf sie zu sein, bekam sie einen trockenen Mund. Sie legte den Hörer wieder auf die Gabel. Dabei fiel ihr Blick zufällig auf die McDonnell-Akte, die noch auf ihrem Schreibtisch lag. Spontan wählte sie Nicks Nummer, tippte die Ziffern schnell ein, bevor sie es sich anders überlegen
konnte. Sie biss sich nervös auf die Unterlippe, als es zu klingeln begann. Es meldete sich jedoch nur der Anrufbeantworter, und Kate hörte Alices fröhliche Stimme.
»Alice, Lance und Nick sind im Moment nicht erreichbar. Ihr könnt uns jedoch gern eine Nachricht hinterlassen …« Kate schloss unwillkürlich die Augen, als sie Lances Namen hörte. Sein Tod war ihr noch so gegenwärtig. Sie legte auf, da sie nicht wollte, dass ihre Stimme durch die traurige Atmosphäre des riesigen, leeren, alten Farmhauses hallte.
Übelkeit stieg
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