Australien 01 - Wo der Wind singt
in ihr auf, während sie den Hörer wieder abnahm und schnell Daves und Janies Nummer wählte, bevor sie der Mut verließ.
»Hallo«, ertönte Daves Stimme. Kate konnte hören, dass er kaute. Offensichtlich saß er gerade beim Frühstück.
»Ich bin’s nur.«
»Du nur? Ach. Für jemand Bestimmten bist du nicht nur irgendjemand. Wir haben hier nämlich ein kleines Mädchen sitzen, das ständig fragt, wann seine Mami kommt. Was soll ich der Kleinen sagen, Kate? Hast du deine Sauftour beendet, oder wolltest du gleich noch einmal losziehen? Du warst doch im Pub und hast dich volllaufen lassen? Oder etwa nicht? Das ist doch das, was du normalerweise immer tust, nicht wahr, Kate?« Kate schloss voller Scham die Augen.
»Kann ich bitte Janie sprechen?«, fragte sie leise.
Sie hörte, wie Dave den Hörer ablegte. Während sie wartete, lauschte sie den Geräuschen der Familie am Frühstückstisch. Die Zwillinge schlugen mit ihren Tassen auf die Tabletts ihrer Hochstühle. Plötzlich wurde der Lärm von Nells heller Stimme übertönt.
»Nein, Brendan! Du bist unartig! Nein. Stell die Tasse hin. Nein!«, befahl sie.
Großer Gott, dachte Kate entsetzt, als sie in Nells Stimme ihren eigenen, manchmal so aggressiven Ton wiedererkannte. Es war, als würde sie plötzlich in ihre Seele blicken. Ihr gesamtes Wesen verstehen.
»Jasmine! Lass das!«, war jetzt wieder Nells herrische Stimme zu vernehmen.
»Hi«, hörte Kate jetzt Janies Stimme in dieser Kulisse aus Lärm. »Du könntest übrigens auch rüberkommen und direkt mit uns reden, weißt du. Wir sind nicht einmal zweihundert Meter weit entfernt.«
»Ich weiß. Ich bin feige. Tut mir leid.«
Janie schwieg. Kate wusste, dass sie wartete. Sie dachte an ihre kleine Tochter, die sie einfach abgegeben hatte. Sie konnte sie nicht länger bei Janie lassen. Das wäre Nell gegenüber nicht fair. Und auch Janie gegenüber wäre es nicht fair. Sie hatte den Bogen vollkommen überspannt. Sie musste Nell nach Hobart mitnehmen. Colin würde schon irgendwie damit klarkommen. Sie holte tief Luft.
»Ich komme gleich rüber«, sagte Kate. »Und hole Nell ab.«
»Gut«, sagte Janie und legte auf.
Kapitel 31
H obart glänzte im Sonnenschein, als Kate und Nell vom Ostufer her in die Stadt hineinfuhren. Unzählige Jachten mit ihren weißen, dreieckigen Segeln flogen geradezu über das blaue Wasser des Derwent. Sie drängten sich wie Schwärme von Seemöwen eng zusammen und lenkten die Aufmerksamkeit der Autofahrer auf der Brücke auf sich. Kate fuhr langsamer, um sich in den Verkehrsstrom einzufädeln. Während sie mit ihrem völlig verdreckten Pick-up auf das Stadtzentrum von Hobart zufuhr, machte sie Nell immer wieder auf die vielen Dinge aufmerksam, die es hier zu sehen gab. An den steilen Berghängen über dem Flussufer standen geduckte graue Gebäude, die von Busch umgeben waren. Über alledem ragte majestätisch der Mount Wellington auf. Er sah aus wie ein riesiger Löwe, der im Sonnenschein vor sich hin döste.
Kate erinnerte sich daran, wie sie früher mit ihrer Mutter und Will zur Regatta, zur Royal Hobart Show oder zum Weihnachtseinkauf in die Stadt gefahren war. Sie konnte sich jedoch nicht entsinnen, dass ihr Vater sie bei diesen Ausflügen jemals begleitet hätte. Bis jetzt war Kate immer davon ausgegangen, dass ihn das Ganze einfach nicht interessiert hatte. Aber vielleicht war es ja die viele Arbeit auf der Farm gewesen – vor allem in den Sommermonaten –, die ihn an Haus und Hof gebunden hatte. Als Kate die Schönheit der Hafenstadt in sich aufnahm, fragte sie sich, ob er, wie viele andere Farmer auch, einfach keine Möglichkeit gesehen hatte, sich einen Tag freizunehmen. Aber wenn er sich damals immer dafür entschieden hatte, der Farm Vorrang vor seinen Kindern zu geben, warum verkaufte er das Land jetzt? Kate überkam plötzlich eine große Traurigkeit. Sie begriff mit einem Mal, wie schwer es für ihn gewesen sein musste, Laney zu verlieren, jetzt, da sie wusste, was es hieß, jemanden grenzenlos zu lieben. Sie spürte Nick jede Minute in sich, und allein schon der Gedanke, dass
sie vielleicht nie die Chance bekommen würde, mit ihm ihr Leben zu verbringen, ließ sie sich völlig leer fühlen. Ausgehöhlt.
Kate erkannte jetzt, dass Annabelle kein Ersatz für Laney war. Laney war »die Eine« für ihren Vater gewesen, seine Seelenverwandte. Annabelle konnte ihr in keiner Beziehung das Wasser reichen. Auch wenn das ihrem Vater nicht bewusst war, Kate war sich
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