Auszeit - Ein Schwarz Weiss Tot Krimi
aufgestellt und die Geldautomaten ersetzt, aber alles blieb ohne Erfolg. Erst dann haben sie die Polizei eingeschaltet.«
Nita nickte nur. Sie schien ihrer Sache sehr sicher zu sein. »Er ist es. Das ist doch ganz einfach. Man braucht nur zu warten, bis der Automat neu befüllt wird, passt den richtigen Moment ab, hält die Zeit an, marschiert rein, holt raus, was sie bereits reingepackt haben, und geht wieder.«
»Genauso habe ich es mir auch vorgestellt.« Er holte sein Notizbuch aus seiner Jackentasche und blätterte bis zum Ende seiner Aufzeichnungen. »Aber warum tut er es immer bei derselben Filiale? Das ist doch dumm, damit halst er sich doch nur Schwierigkeiten auf. Und warum stiehlt er sein Geld auf diese Weise? Da gibt es doch einfachere Methoden. Er könnte die Zeit anhalten, in die Bank reingehen, dem Banker am Schalter das Geld wegnehmen und wieder rausgehen. Oder er wartet, bis jemand eine große Summe abhebt und schnappt sie sich einfach.«
Nita runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach. »Es sei denn …«, begann sie. Er wartete ab. Sie legte Messer und Gabel weg. »Oom Johnnie, letzten Monat … Nein, ich muss weiter zurückgehen. Aber vorher muss ich dir noch sagen, dass ich dir vertraue – in jeder Hinsicht. Ich habe natürlich auch keine andere Wahl, und es war kein leichter Entschluss, aber ich …« Sie hielt inne und schüttelte den Kopf, mit tiefernstem Gesicht. »Ich muss ein bisschen weiter ausholen, aber ich wünsche mir, dass du mich verstehst. Weißt du, mein Vater trinkt nämlich. Viel zu viel. Ich kann es ihm nicht verübeln. Nachdem meine Mutter gestorben war … Er hat sie so sehr geliebt, und sie war die Stärkere,sie war wohl so was wie sein Anker. Lange Rede, kurzer Sinn, für mich war er eigentlich nie richtig da. Dabei war mein Leben auch sehr schwierig. Ich habe genauso sehr getrauert, und außerdem gab es da diese Sache, die mit mir passierte und die ich noch nicht so richtig verstand. Als ich dann endlich mal darüber reden wollte, hat mich mein damaliger Freund angesehen, als hätte ich einen Knall. Ich war wütend, Oom. In der neunten Klasse wollte ich nur noch weglaufen, weg von allem. Damals dachte ich, ist doch ganz leicht, ich schleiche mich einfach in eine Bank, lasse die Zeit still stehen, nehme, was ich brauche, steige in einen Bus und fahre weg. Ich hatte alles genau geplant. Ich hatte einen Rucksack gepackt und war an diesem Morgen nicht zur Schule gegangen. Dann bin ich zum Canal Walk gegangen und habe in der Bank gewartet, um mir alles erst mal genau anzusehen. Doch dann wurde mir klar, dass ich dieses Geld nicht nehmen konnte. Denn sie würden denken, die Frau am Schalter hätte das Geld gestohlen. Und dieser Mann, der Geld aus dem Automaten zog: Vielleicht war das für seine Kinder oder seine Angestellten – ich konnte es nicht einfach nehmen. Ich stand also da und kapierte langsam, dass es ein Verbrechen ohne Opfer einfach nicht gibt.«
Sie nahm Messer und Gabel wieder in die Hand.
»Und, was hast du gemacht?«
»Ich habe meinen Rucksack ausgepackt und bin am nächsten Tag wieder in die Schule gegangen. Und ich habe mir die ganze Zeit inständig gewünscht, endlich einmal mit jemandem darüber reden zu können. Mit jemandem, der wie ich die Zeit anhalten kann. Denn es konnte doch unmöglich nur mich geben, im ganzen Universum? Da habeich angefangen zu suchen. In Büchern, im Internet … Ich wurde zum Informationsjunkie, ich habe mehr Google Alerts als Bill Gates Dollars. Anfangs bin ich noch unsystematisch vorgegangen, aber ich habe dazugelernt und nach und nach einiges herausgefunden. Diese Ausdrucke, die ich dir gegeben habe. Und natürlich die Morde …«
Er dachte lange nach, bevor er antwortete: »Meinst du, derjenige, der in Seepunt Geld von der Absa gestohlen hat, hätte eine Verbrechensmethode entwickelt, bei der es keine Opfer gibt?«
»Genau. Aber ich wollte dir auch damit sagen, Oom, wie klasse es ist, endlich mal mit jemandem über alles reden zu können! Das ist … du kannst dir ja gar nicht vorstellen, was das für mich bedeutet.« Sie streckte die Hand aus und berührte seine.
»Ach, Nita, du musst wirklich darunter gelitten haben.«
»Ja, aber jetzt geht’s mir besser«, sagte sie und zog ihre Hand wieder weg.
Johnnie October heftete den Blick auf sein Notizbuch und wunderte sich. Wie viel Glück hatte dieses Kind gehabt, dass es nicht auf die schiefe Bahn geraten war! Und wie eigenartig es war, dass sie sich begegnet
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