Ausziehen!
meiner Aussage abschätzen. Glücklicherweise hatten mich die letzten Tage von allen Lügen befreit.
»Glauben Sie das wirklich?«
»Bill Clinton ist ohne Vater in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen.«
Sie dachte kurz darüber nach. »Es gibt genügend Leute, die dauernd hinter mir her sind. Da brauche ich nicht auch noch den Secret Service!«
Sie besaß das Talent, mich zum Lachen zu bringen. Selbst wenn es wirklich düster aussah. Und für sie sah es oft mächtig düster aus.
»Eminems Klassenkameraden haben ihn krankenhausreif geprügelt«, sagte ich. »Jetzt ist er ein Millionär.«
»Sie hören Eminem?«
»Ich? Nein. Ausschließlich Polka.«
Sie grinste. »Wie alt sind Sie, Ms. McMullen?«
Fast neunzig. Bald so alt wie Methusalem. »Ich bin dreiunddreißig.«
»Hmmm.« Ich fragte mich, ob sie sich vorstellen konnte, was das bedeutete. »Haben Sie schon mal … Sie wissen schon … so richtig Scheiße gebaut?«
O Mann! »Sicher habe ich schon mal Fehler gemacht«, antwortete ich. Ich konnte zwar nicht lügen, mich aber winden wie ein Aal und ungelegenen Fragen geschickt ausweichen.
»Echt?« Sie legte den Kopf auf die Seite und betrachtete mich. Meine Professoren hatten uns klipp und klar gesagt, wie wichtig es sei, nicht zu viele Informationen mit den Patienten zu teilen, aber diese Augen hier blickten immer noch verschleiert. Feuchte Beagle-Welpenaugen. Dagegen kam ich nur schwerlich an. »Was denn zum Beispiel?«
Scheiß auf die Professoren. »Ich hatte mal eine Essstörung.«
»So was wie Magersucht?«
»Nicht genau.«
»Bulimie?«
»Ich war zwanghaft fresssüchtig.«
»Echt?«
»Mein Vater hat mich immer Schnitzelchen genannt.«
»Das hat er nicht wirklich getan, oder?«
»So wahr mir Gott helfe«, bekräftigte ich. Niemand konnte Glen McMullen den Vorwurf machen, allzu feinfühlig zu sein.
»Waren Sie fett?«
»Meine Brüder haben mal vorgeschlagen, mich als Medizinball zu benutzen.« Meine Brüder hätten es verdient, an ihren Daumen aufgehängt und mit einem Besen verprügelt zu werden.
Sie musterte mich ungläubig. »Aber Sie sind doch so dünn!«
Ich saß einen Augenblick lang nur da, ließ die Minderwertigkeitsgefühle abklingen und dachte darüber nach, sie zu adoptieren. Zum Teufel mit ihrem Vater und seinen guten Absichten. »Ich finde nicht, dass ich dünn bin, aber vielen Dank!«
»Meine Mutter kämpft schon ewig gegen ihr Gewicht an. Sie sagt, ich würde eines Tages auch fett. Als ob sie es gar nicht abwarten könnte!«
»Es ist nur eine Möglichkeit von vielen, Angie. Wie Drogen, Schule und Freunde. Manchmal glauben die Leute eben einfach, dass sich die ganze Welt gegen sie verschworen hat. Aber nur, weil sie Angst haben oder zu schwach sind.«
»Ich habe Angst«, gab Angela zu. Ihre Stimme klang dünn und ein wenig verzweifelt.
Ich könnte mein Büro in ein Schlafzimmer für sie umwandeln, dachte ich. Ich könnte ihr Geschichten vorlesen und Popcorn für sie machen. Es war ja nun nicht gerade so, dass ich ständig jemanden über Nacht zu Gast hatte. »Manchmal kann einem die Welt auch ganz schön Angst einjagen. Aber du bist nicht schwach!«, ermutigte ich sie.
»Ecstasy lässt einen den ganzen Mist vergessen.«
»Hinterher ist aber doch alles wieder wie gehabt«, erinnerte ich sie. »Und dann hast du nicht nur diesen Mist am Hals, sondern dazu auch noch ein Drogenproblem.«
»Ja.« Sie seufzte.
»Weißt du was, vielleicht kannst du ja clean bleiben, bis wir uns das nächste Mal sehen?«, schlug ich vor.
»Eine ganze Woche?«
»Genau.«
»Und dann?«
»Dann reden wir darüber. Und gucken, wie es dir geht und was du vielleicht in deinem Leben ändern musst. Und wie du etwas verändern kannst.«
Sie dachte darüber nach. »Okay.«
Ein Chor aus Hallelujas schmetterte mir durch den Kopf. »Gut!«, sagte ich und schaffte es, mir die Frage zu verkneifen, ob sie bei mir einziehen wolle.
Samstag mähte ich meinen Rasen. Na ja, ich mähte wohl eher das Unkraut und fluchte, während ich hinter dem antiquierten Rasenmäher herlief. Ich glaubte fest daran, was ich Angie gesagt hatte: dass jeder seines Glückes Schmied ist und das ganze Zeug, aber ich mochte die Richtung, in die meine Gedanken gingen, gar nicht. Wenn ich mein eigenes Glück schmieden wollte, sollte ich verdammt noch mal endlich was tun, um nicht in den Knast zu wandern.
Aber es gab nicht so viele Dinge, die ich tun konnte, außer mit ein paar Leuten zu reden. Und das letzte Mal, als ich das
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