Autobiografie einer Pflaume - Roman
anderen Sender, und der spielt«Discomusik», wie Rosy ganz angeekelt sagt, aber mir gefällt Discomusik gut. Ahmed ist zu dem Lehrer gefahren, und Simon ist auch weggefahren, aber er hat nicht verraten wollen, wohin.
Heute Morgen bin ich in das oberste Stockwerk von Fontaines gestiegen und habe an Rosys Tür geklopft.
«Wer ist da?»
«Na, ich, Pflaume!»
Und sie hat die Tür aufgemacht; sie hatte Morgenmantel und Pantoffeln an, und das hat mich an Mama erinnert, nur dass ihr Morgenrock keine Flecken hatte und die Pantoffeln keine Löcher hatten.
«Rosy, sag mal, weißt du, wohin Simon gegangen ist?»
«Ja.»
«Dann sag es mir!»
Rosy hat mir den Kopf gestreichelt.
«Deshalb musst du nicht schreien, kleiner Mann, ich bin nicht taub, aber ich kann dir nicht sagen, wohin Simon gegangen ist. Das ist seine Sache.»
«Sauerei», habe ich gesagt.
Und Rosy ist böse geworden:«Keine Kraftausdrücke in meiner Gegenwart, sonst kannst du gleich in dein Zimmer zurückgehen. »
Ich habe mich sofort beruhigt, weil ich mir keine Abreibung einfangen wollte, die sich gewaschen hat.
«Bitte, Rosy!»
«Wenn du ein Geheimnis hättest, würde ich es niemandem verraten, es sei denn, du wolltest es so. Und Simon hat mir nichts davon gesagt, dass ich dir etwas sagen soll.»
«Das hat er vergessen.»
Rosy hat die Augen verdreht:«Jetzt komm schon, sei ein braver Junge, ich werde dir nichts verraten. Kommt Raymond dich heute nicht besuchen?»
«Doch, er kommt sicher bald.»
Und sie hat ihre Tür zugeschlagen.
Rosy wohnt als Einzige von den Heimwehstreuern im Heim.
Michel, François, Pauline und die anderen haben alle ein eigenes Zuhause.
Aber Rosy hat uns zu gern, um ein eigenes Zuhause zu haben.
Und so kommt es, dass sie sonntags Béatrice trösten kann und wir bei ihr an die Tür klopfen dürfen, wenn wir ihr etwas erzählen wollen, und manchmal lädt sie uns ein und gibt uns Tee zu trinken, aber diesmal gab es keinen Tee für mich und auch sonst nichts.
Ich bin in mein Zimmer gegangen und habe aus dem Fenster geschaut, von wo man in den Park sieht, auf die Kiesel, die Bäume, wo man stehen muss, wenn man nicht mitspielen darf, die schwarzen Eisengitter und weiter weg den Weg mit Teer drauf, den Fluss und dahinter nichts als Gras, Bäume und Stückchen von Häusern. Es gibt bloß einen Esel, und man darf nicht zu nahe hingehen, weil er beißt. Rosy hat mir gesagt, dass die Kinder ihn böse gemacht haben, weil sie immer an seinen Ohren und an seinem Schwanz gezogen haben.
Und dann hat Raymonds Auto mit der kleinen blauen Büchse auf dem Dach unter meinem Fenster geparkt, und ich bin die Treppe runtergerast.
Sein Hemd hängt ihm wegen seinem Bauch immer aus der Hose raus, und er schwitzt unter seiner Jacke, als wäre er mit der Sonne im Auto hergefahren.
Er breitet die Arme aus, und ich springe ihm an den Hals.
«Wie geht’s, mein Kleiner?», sagt Raymond mit seiner lauten
Stimme, und ich erzähle ihm, was ich am Mittwoch erlebt habe, als ich mit meinen Freunden Fußball gespielt habe und wir Aziz verarscht haben.
«‹Verarschen› sagt man nicht. Von wem hast du das?»
«Na, von Simon.»
«Aha! Von diesem verkommenen Subjekt.»
«Was ist ein Subjekt?»
«Ein Teufelsbraten.»
«Warum sagst du dann nicht Teufelsbraten? Das verstehe ich wenigstens.»
«Weil man Teufelsbraten nicht sagt.»
«Jetzt hast du es sogar zweimal gesagt!»
Und wir lachen, und draußen ist es schön, und wir gehen auf dem Weg mit Teer drauf spazieren.
Ich lasse meine Hand in seiner verschwinden.
Raymond lächelt mich mit seinen Augen an, und seine dicken Augenbrauen sagen sich guten Tag.
«Ach, ich habe dir übrigens ein Foto von meinem Sohn mitgebracht. Er heißt Victor.»
Und er zeigt mir das Foto von Victor in den Armen einer Dame in einem gelben Hemd, und ich finde nicht, dass Victor mir ähnlich sieht.
«Wer ist die Dame?»
«Das war meine Frau», sagt Raymond, und seine Augen lächeln nicht mehr.«Sie ist auch im Himmel.»
«Warum?»
«Weil sie sehr krank war, aber das ist nichts für dich. Findest du nicht, dass mein Victor dir ähnlich sieht?»
Und ich antworte:«Doch», um ihm eine Freude zu machen.
Ich bin blond, er ist brünett, ich habe blaue Augen, und er hat braune, und vor allem wäre ich mit seiner Frisur nicht einverstanden.
Ich fahre mir mit der Hand durch die Haare und fertig,
Kamm brauche ich keinen. Und außerdem hat er kein Muttermal auf der Nase.
Manchmal macht Simon sich über mich
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