Autobiografie einer Pflaume - Roman
mir leihen willst, kannst du für dich behalten.»
«Icare, entweder benimmst du dich, oder du verlässt mein Zimmer.»
«Entschuldige, Rosy.»
Und ich nehme ein Plätzchen und sage:«Dein Zimmer ist cool», obwohl es nicht stimmt wegen den Büchern ohne Bilder und wegen dem Zeug vom lieben Gott, das in einer Untertasse qualmt und nicht so gut riecht wie in der Kirche.
Die Kirche ist das Haus vom lieben Gott, aber der ist dort nie.
Das wundert mich nicht, denn in seinem Haus ist es immer mörderisch kalt. Der liebe Gott ist nicht doof. Er ist lieber da, wo es warm ist, in den Wolken, wo ihm die Sonne auf den Buckel scheint und wo er vor den Leuten in Sicherheit ist, die alle immer etwas von ihm wollen.
«Vor allem Geld», sagt Simon.
Rosy sagt, dass der liebe Gott uns immer sehen kann und dass er alles von uns weiß, auch die Dummheiten, die wir machen, und dass er uns trotzdem lieb hat und uns alles verzeiht.
Camille sagt, die Hexe würde genau das Gegenteil behaupten: dass der liebe Gott sie nicht lieb hat, weil ihr Papa ein Trinker war und ihre Mama ein leichtes Mädchen, eine«Legdich-hin-Marie», und dass sie zu ihnen in die Hölle kommen wird, wo der Teufel ihr die Füße verbrennt. Ich habe ihr geantwortet, dass die Hexe lauter Blödsinn redet, weil die Freundin vom lieben Gott sich hinlegt, wann es ihr passt und nicht auf Befehl der Hexe. Und Camille hat gesagt, ihre Mutter hätte schließlich Françoise geheißen und nicht Marie, und ich habe gesagt:«Siehst du, das beweist doch, dass sie lauter Blödsinn redet«, und Rosy hat gesagt:«Ruhe endlich, ihr zwei, wir sind hier im Haus Gottes», als wenn wir das nicht wüssten.
Alice und Béatrice haben nichts mitbekommen, weil sie aneinandergelehnt geschlafen haben.
Ahmed will auch das Bonbon haben, aber Rosy sagt, dass das nicht geht, weil er eine andere Religion hat, und ich finde, dass es nicht richtig ist, die Bonbons zu verbieten, nur weil es andere Religionen gibt, und ich gebe ihm heimlich die Hälfte von meinem Bonbon ab, das auf der Zunge klebt und nicht besonders gut schmeckt. Eigentlich wie Pappe.
Rosy sagt uns, dass der Monsieur in dem weißen und schwarzen Gewand der«Stellvertreter Gottes»ist, und Jujube will wissen, ob der Stellvertreter Gottes an den Türen klingelt und in seinem Koffer Sachen zum Verkaufen dabei hat, und Rosy sagt:«Das ist etwas anderes», und Camille sagt, dass die Messieurs, die an den Türen klingeln, keine Koffer dabei haben, und Jujube sagt:«Doch, haben sie», und Camille sagt:«Nein, haben sie nicht», und Rosy sagt:«Ruhe endlich», als würden wir schlecht hören.
Jujube und Camille machen im Flüsterton weiter, und auf ihren Lippen kann man«Doch»und«Nein»ablesen, und Jujube kneift Camille in den Oberschenkel, und Camille schreit:«Nein», und ich rufe:«Jujube hat Camille gekniffen», und wir müssen rausgehen, weil die anderen Leute sich nach uns umdrehen, aber weil Béatrice und Alice zu weinen anfangen, als Rosy sie weckt, fällt das nicht mehr auf.
Draußen sagt Rosy zu uns, dass sie uns nicht mehr in die Kirche mitnimmt, wenn wir uns so aufführen, und Simon steigt in den Bus von Gérard, der mit dem Kopf auf dem Lenkrad schläft, und sagt:«Umso besser, dort ist es scheißlangweilig und außerdem saukalt», und Pauline steigt aus und zieht ihren Rock zurecht und fragt:«Schon zu Ende?», und Rosy sagt:«Sie hat niemand nach Ihrer Meinung gefragt», und Pauline antwortet:«Die Liebenswürdigkeit in Person, unsere Rosy, lernen Sie das beim lieben Gott?», und Rosy sagt nichts, sondern durchbohrt sie mit ihren Blicken tödlicher als mit Revolverschüssen.
Ich will wissen, warum die Leute in der Kirche den Stellvertreter
Gottes mit Pater anreden, und Rosy verdreht die Augen und sagt wieder nichts.
Pauline antwortet mir:«Weil der Pfarrer ein Vater für seine verlorenen Schäfchen ist, nicht wahr, Rosy?», und Rosy tut so, als würde sie schlecht hören, und Pauline sagt:«Was ist los, Rosy, spielen wir etwa die beleidigte Leberwurst?», und Rosy sagt:«Du kannst von Glück sagen, dass die Kinder dabei sind, sonst würde ich dir sagen, was ich von dir halte», und wir rufen:«Sag es, Rosy, sag, was du von Pauline hältst!», und Rosy beruhigt sich sofort und sagt:«Nur das Beste, liebe Kinder, nur das Beste.»
«Weißt du noch, Rosy, als wir in der Kirche waren?»
«Daran erinnere ich mich lieber nicht.»
Und sie schenkt mir eine neue Tasse Tee ein.
«Sei doch nicht sauer,
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