Autobiografie einer Pflaume - Roman
weil er ein Riese ist, der wie ein Gockel redet und Lackschuhe anhat.»
«Meine Mama ist mit einem anderen Monsieur weggegangen und will nichts mehr von mir wissen, und meinen Papa kenne ich nicht mehr, und als er mich besuchen kommt und ich den Monsieur nicht erkenne, da bekomme ich Angst und traue mich nichts zu sagen.»
«War er denn nett zu dir?»
«Ja, er hat mir gesagt, dass er Arbeit sucht und dass Tony ihm dabei helfen will und dass er mich in drei oder vier Monaten holen will und dass wir in einem schönen Haus mit einem gro ßen Garten und mit einem Swimmingpool wohnen werden.»
«Und wer ist Tony?»
«Der Monsieur hat mir gesagt, dass es ein Freund aus dem Gefängnis ist.»
«Und hättest du Lust, in dem schönen Haus mit dem großen Garten und dem Swimmingpool zu wohnen?»
«Weiß nicht.»
«Wieso weißt du das nicht?»
«Der Monsieur hat mir gesagt, dass wir zu viert dort wohnen werden, zusammen mit Tony und Sandra.»
«Und wer ist Sandra?»
«Der Monsieur hat mir gesagt, dass das seine Neue ist, aber ich habe ihm gesagt, dass ich diese ganzen Leute nicht kenne und dass ich hier bleiben will.»
«Und was hat er dann gesagt?»
«Dass er mein Papa ist und dass ich nicht im Heim bleiben soll und dass ich eine richtige Familie brauche wie Sandra, Tony und ihn, und ich habe geweint, und er hat gesagt: ‹Weißt du, man gewöhnt sich an alles›, und ich habe gesagt, dass ich seine Familie nicht will, weil ich Simon und dich und Camille und Rosy habe, und dann bin ich weggelaufen, und Madame
Colette hat mich festgehalten und zu dem Monsieur zurückgebracht. »
«Ich dachte, du wärst in deinen Papa verknallt.»
«Ja, ich habe immer an ihn gedacht, aber der Papa in meinen Gedanken hatte einen Bart und lange Haare, und diesen Monsieur kenne ich überhaupt nicht, und ich will nichts von ihm wissen.»
«Und was hat Madame Colette zu deinem Papa gesagt?»
«Sie hat gesagt, dass er mich oft besuchen soll, damit ich mich an ihn gewöhne, und der Monsieur hat gesagt, er würde sein Bestes tun, aber er müsste für drei Monate geschäftlich verreisen. Madame Colette hat gesagt: ‹Verstehe›, und der Monsieur hat gesagt: ‹Für einen Haftentlassenen ist es schwer, eine Arbeit zu finden, und mein Freund Tony hat mir eine Arbeit in Amerika verschafft.› ‹Was für eine Arbeit?›, hat Madame Colette gefragt, und der Monsieur hat geantwortet: ‹In der Immo bilienbranche.›»
«Was ist das?»
«Keine Ahnung.»
Und Simon kommt reingestürmt:«Ihr seid vielleicht doof, das Museum ist total cool», und er sieht Ahmed und sagt:«Und wie war es mit deinem Papa? Nicht so cool, sollte man meinen, wenn man deine Schnute sieht.»
Und Ahmed zieht sich wieder die Decke über den Kopf.
«Was ist los?», fragt mich Simon.
«Ahmed ist nicht mehr in seinen Papa verknallt, weil der sich den Bart und die Haare abrasiert hat, und Ahmed will nicht in das schöne Haus mit Swimmingpool und Garten und Tony und Sandra ziehen, weil er lieber bei uns im Heim bleibt.»
«Du bist ja nicht bei Trost, Ahmed», ruft Simon in die Decke.«Der schlimmste Knast ist das Heim, schlimmer als der, wo dein Papa war, weil sie uns nicht entlassen, wir können ins Schwimmbad gehen und ins Museum von La Villette, aber wir
müssen immer in diese Scheißburg zurückkommen. Keiner verlässt sie oder höchstens erst dann, wenn man sehr alt ist, und du könntest in einem schönen Haus mit Swimmingpool und Garten wohnen und willst lieber im Knast bleiben nur wegen ein paar Haaren. So einen Schwachsinn habe ich noch nie gehört.»
Ahmed schiebt die Decke etwas zurück:«Du weißt immer über alles Bescheid, aber du bist ganz alleine, dich besucht nie jemand, und es gibt nicht mal eine Schublade mit deinem Namen drauf bei Madame Colette, du bist eklig, und es gibt dich gar nicht!»
«Es gibt mich nicht? Das wirst du gleich sehen!»Und Simon wirft sich auf das Bett und schlägt Ahmed, und ich schreie:«Hör auf, Simon!», und er reißt Ahmed den Schlafhasen weg, und jetzt schreit Ahmed, und ich packe Simon an den Schultern und kriege seine Faust mitten ins Gesicht, und Rosy kommt, und Simon versetzt ihr einen Fußtritt, und Rosy packt ihn an den Haaren.
«Simon! Du hörst sofort auf und kommst mit mir zu Madame Papineau. Icare, du gehst mit Ahmed auf die Krankenstation, und halte dir das Taschentuch vor die Nase, weil sie blutet.»Weil ich kein Taschentuch zur Hand habe, nehme ich ein T-Shirt von Simon, das auf einem Stuhl liegt, und ich
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