Autobiografie einer Pflaume - Roman
Behinderter, und hinterher teilt sie riesengroße Karten aus, und Raymond sagt zu mir:«Du kannst bestellen, was du willst», und ich kann es nicht fassen.
«Warst du schon mal in einem Restaurant?», flüstere ich Camille ins Ohr.
«Ja, manchmal, wenn Papa und Mama nicht gestritten haben. »
«Ich habe so was im Film gesehen, und Mama hat gesagt, dass es das nur für die Reichen gibt.»
«Da hat dir deine Mama Blödsinn erzählt.»
«Das war nicht ihre Schuld, das lag an den vielen Bierchen und an ihrem kaputten Bein.»
«So, Kinder, habt ihr euch schon etwas ausgesucht?», fragt uns die Dame, die einen Block und einen Stift in der Hand hält.
«Mayonnaiseneier und Brathuhn mit Pommes frites», antwortet Camille.
«Öh, für mich auch.»
Rosy sagt immer zu mir, dass meine Augen größer sind als mein Magen, wenn ich mir mehrmals nachgenommen habe und die letzte Portion nicht mehr schaffe, aber wenn ich dürfte, würde ich mir alle Vorspeisen bestellen und alle Gerichte, die mir verlockend vorkommen.
Die Dame schreibt alles auf ihren Block: Die Alten sind total gedächtnisschwach.
Zum Dessert schaufeln wir Eis in uns rein.
Raymond lockert seinen Gürtel und öffnet einen Knopf von seiner Hose, weil sein Bauch Luft holen will, und er zündet sich eine Zigarette an.
«Rauchen ist ungesund, Papa.»
«Du hast Recht, mein Sohn.»
Und er drückt die Zigarette im Aschenbecher aus.
Victor passt supergut auf seinen Vater auf. Vorhin hat er gesagt, dass es ungesund ist zu trinken, und Raymond hat das Glas Wein abgelehnt, obwohl seine Augen das Gegenteil gesagt haben.
Hinterher gehen wir am Fluss spazieren, und Camille pflückt Wiesenblumen, und Victor hält die Hand seines Papas, und die Sonne spielt mit dem Wasser, und wir sehen eine Entenmama mit ihren Kleinen, die wie beschwipst in einer schiefen Linie schwimmen, und ab und zu schaue ich beim Gehen zum Himmel, der ganz blau ist, und freue mich, dass ich keine einzige Wolke sehe.
Bis auf Raymonds Worte:«Es ist Zeit, nach Hause zu gehen, Kinder.»
«Und wo ist deine Mama?», fragt Victor, der im Wagen neben seinem Papa sitzt.
«Victor, solche Fragen sind ungehörig», sagt der Gendarm.
«Mama ist im Himmel mit ihren Bierchen und einer Harfe», antworte ich.
«Meine ist auf dem Friedhof, wo wir sie besuchen und ihr Blumen bringen. Und deine, Camille?»
«Da, wo Papa sie hingeschubst hat, im Wasser.»
«Dann haben wir alle drei keine Mama?», fragt Victor.
«Leider ja», antwortet Camille und drückt meine Hand.
«Victor! Setz dich bitte vernünftig hin und hör auf, den beiden auf die Nerven zu gehen.»
«Aber er geht mir nicht auf die Nerven, Monsieur», sagt Camille.
«Du kannst Raymond zu mir sagen, mein Mädchen. So, da wären wir.»
Raymond wohnt in einem kleinen Haus am Straßenrand mit einem großen Garten dahinter, der voller Blumen ist. Es liegt am anderen Ende des Dorfs, und selbst vom Dach aus könnte ich das leer stehende Haus von Mama wahrscheinlich nicht sehen.
«Papa kümmert sich jetzt um den Garten», erzählt Victor.«Er hat eine Menge Bücher gelesen, weil er keine Ahnung hatte, und am Anfang hatten die Blumen niemanden mehr, der sie gern hatte, außer mir, aber ich hatte zu viel zu tun, und deshalb sind sie in das Blumenparadies gegangen. Jetzt wachsen sie wie Unkraut, weil Papa ihnen Jazzmusik vorspielt. Auf Jazzmusik sind sie ganz wild.»
«Ich wusste gar nicht, dass Blumen Musik mögen», sage ich.
«Und wie! Mama hat ihnen immer klassische Musik vorgespielt, da sind sie brav und ordentlich gewachsen.»
«Und habt ihr es schon mit Disco versucht?», frage ich.
Ich stelle mir vor, wie die Blumen kreuz und quer wachsen, als die laute Stimme von Raymond ruft:«Pflaume, Camille, euer Zimmer ist fertig!»
Das Zimmer ist supergroß und das Bett auch, und aus dem Fenster sieht man auf die Felder, und Raymond hat die Wiesenblumen von Camille in eine Vase gestellt, und ich rieche an den Blumen, und sie riechen nach nichts.
Wir haben nichts ausgepackt, weil wir mit Victor Mensch-ärgere-dich-nicht spielen wollen, der uns holen gekommen ist, denn sein Vater reißt im Garten das Unkraut aus.
Normalerweise schummle ich, und niemand merkt es, und so gewinne ich und bin Sieger.
Wenn ich mit dem dicken Marcel in der Pause geschussert habe, dann habe ich auf das Flugzeug gezeigt, das am Himmel über uns flog, oder auf den Haarknoten der Lehrerin, und wenn dieser Vollidiot Marcel weggeschaut hat, habe ich die
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