Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
das erste Mal, dass der Stammesrat hier abgehalten wurde. Seit Rigana geboren war, lebte Prasutagos auf dem Gehöft nahe dem Pferdeschrein. Und nicht einmal für die Ratsversammlung wollte er zurückkehren nach Eponadunon und Frau und Kind hier allein lassen. Sie sahen einander häufig, obgleich Boudicca ihn noch nicht wieder in ihr Bett eingeladen hatte. Sie stillte noch immer, wenngleich niemand wirklich damit gerechnet hatte. Auch jetzt saßen sie beieinander und hörten dem Botschafter des Königs Antedios von Dun Garo zu.
»Dann ist es sicher, dass Feldherr Plautius nach Rom zurückkehren wird?«, fragte der König.
»Seine Zeit ist um, und Rom lässt seine Männer nicht gern zu lange an einem Ort. Sie könnten sonst auf die Idee kommen, das Land gehöre ihnen und nicht dem Römischen Reich.«
»Diese Sonne brennt zu hell für meinen alten Kopf«, sagte Nessa. »Meine Königin, soll ich die Kleine ins Haus bringen?« Rigana und ihr Hundespielkamerad tollten im Hof, wo sie nun zwischen seinen Pfoten saß und neue Energie sammelte für den nächsten Versuch, sich an ihm hochzuziehen und sich endlich auf den Beinen halten zu können, um genauso flink zu sein wie die Erwachsenen.
»Nein, lass sie ruhig noch da«, sagte die Königin. »Wir haben ein Auge auf sie. Aber geh du mal in den Schatten.«
»Hm«, brummte die alte Frau und machte sich auf ins Rundhaus. »Ihr habt die Kleine nach einer Göttin benannt und gebt ihr das Gefühl, sie sei auch eine. Aber sie muss lernen, dass nicht immer alles nach ihrem Willen geht, denn sonst – und merkt euch meine Worte gut – werdet ihr eines Tages echte Probleme bekommen!«
Gut möglich, dachte Lhiannon bei sich, während sich der Faden unter ihren geschickten Fingern zu Wolle spann, doch da Nessa so ziemlich jeden Tag die ein oder andere Katastrophe prophezeite, hörte kaum jemand mehr hin.
»Wer kommt nach ihm?«, fragte Boudicca.
»Ein Mann namens Publius Ostorius Scapuola wird kommen, aber er wird erst kurz vor Winter hier sein, und der Winter ist keine Zeit, um einen Feldzug zu beginnen. Also werden wir eine Weile Frieden haben …«
»Hier ganz gewiss.« Prasutagos seufzte. »Wir haben ihnen genug bezahlt, damit sie uns in Ruhe lassen …«
In der Tat war der Tag viel zu schön, um über Krieg nachzudenken. Über den Kreidehügeln schien der Himmel stets viel weiter, ein Meer von Blau, durchzogen von ein paar Wolkenfäden – als ob ein wenig Wolle aus Lhiannons Korb sich hinauf in den Himmel gesponnen hätte. Von jenseits der Hecke drang donnerndes Hufgeklapper herüber. Die jüngeren Männer übten für die Rennen, die am folgenden Tag stattfinden würden. Gestern erst hatten sie ein Streitwagenrennen veranstaltet. Lhiannon war nicht dabei gewesen – die Erinnerung an den letzten Sturmangriff der trinovantischen Wagen saß noch zu tief. Vielleicht hätte sie zusehen sollen, dachte sie jetzt im Stillen. Die Britannier waren schließlich das einzige Volk, das noch Streitwagen fuhr, und wer weiß, wann man ein solches Spektakel wieder zu sehen bekäme.
Jemand rief, und das Hufgeklapper wurde schlagartig lauter. Spindel und Spinnrocken flogen ihr aus der Hand, als ein außer Rand und Band geratenes Pferd durch das Tor im Zaun in den Hof geschossen kam. Sein Reiter rang, es unter Kontrolle zu bekommen. Da bäumte es sich auf und kam einen Schritt vor dem Kind zum Stehen. Die Erwachsenen riss es aus den Sitzen, sie rannten über den Hof, während der Hund auf das Pferd losging.
Der Reiter flog mitten in den Zaun, und das Pferd ging zu Boden. Blut spritzte, als scharfe Hundezähne an der Pferdekehle rissen. Prasutagos packte flugs seine Tochter, drückte sie Lhiannon in den Arm, die eilig ins Haus rannte. Boudicca sah, dass ihr Kind in Sicherheit war, und wandte sich dem Hund zu, der entsetzlich die Zähne fletschte, als er auf die Halsschlagader ansetzte.
»Bogle! Aus! Sie ist in Sicherheit. Hör auf jetzt!«
Lhiannon, die mit Rigana im Arm in der Tür des Hauses stand, hob eine Braue. Es ging hier nicht darum, einem jungen Hund mal eben sein Spielzeug wegzunehmen. Konnte Boudicca mit ihrer Stimme den aufgebrachten Hund überhaupt erreichen, den Zorn des Tieres durchdringen? Bogle hatte einen erstaunlich hohen Satz vollführt, um die Kehle des Pferdes zu erreichen. Dass er nun abließ von dem Tier, zitternd und mit blutüberströmten Pfoten am Boden stand, als Boudicca ihn noch einmal rief, war ein Wunder.
Mit weicher, leiser Stimme redete sie ihm zu, so
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