Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
es Nahrungsmittel«, brummte Vordilic.
»Ja, und die werden wir dort auch finden, wenn es so weit ist«, sagte Boudicca mit einem ärgerlichen Stirnrunzeln, und der Catuvellaune wich ihrem Blick aus.
In den glorreichen Heldentagen war alles viel einfacher gewesen, sinnierte sie, als die Stammesführer den letzten Tropfen Wein geschlürft hatten und sich zum Marsch bereit machten. Wenn die Barden von alten, ruhmreichen Schlachten sangen, dann übergingen sie schlicht die großen Herausforderungen, die das planvolle Vorgehen und die Sicherstellung der Nahrungsvorräte stellten. Ihren jungen Kriegern fehlte es an entsprechender Erfahrung, und die alten schienen ein verzerrtes Erinnerungsbild zu haben. Die Verantwortung, die sie auf den Schultern trug, hatte wenig zu tun mit dem Ruhm, den die Barden besangen. Ihre Planung bezog sich zwar auf einen Maßstab, der weit größer war als der, den eine Frau in einem Haushalt Tag für Tag meistern musste, unterschied sich im Grunde aber gar nicht so sehr davon.
Dennoch – gegen die Römer zu kämpfen war etwas anderes, als Ratten in einem Lagerschuppen den Garaus zu machen. Die Römer waren Wölfe. Und als hätte er ihre Gedanken gelesen, hob Bogle den Kopf.
SIEBENUNDZWANZIG
Die Raben tanzten und streuten schwarze Schatten über die römischen Straßen. Boudicca sah dem Lichtspiel zu, während sie in wilder Flucht auf- und abjagten, der Streitwagen nach allen Seiten schlingerte und an ihrem Körper rüttelte, der sich mühelos bog und beugte. Von irgendwo ganz hinten hörte sie Gesang:
Die Große Königin sät Flammen über das Land
Schwarzer Rauch lodert zum Himmel
Wo sterbende Krieger ihren Namen rufen
Und Raben in die Lüfte steigen.
»Vollführen sie dort oben einen Freuden- oder einen Kriegstanz?«, fragte sie sich laut.
»In Londinium haben wir den Raben einen wahren Festtagsschmaus bereitet«, sagte Tascio und folgte ihrem Blick. »Da hoffen sie natürlich auf eine baldige weitere Schlacht.«
Londinium war keine Schlacht, dachte Boudicca, das war ein Blutbad gewesen. Aber sie bezweifelte, dass Tascio ihre mangelnde Begeisterung für derlei Gemetzel verstand. Selbst die Morrigan mochte das Blutvergießen nicht um des Blutvergießens, sondern um des Sieges willen.
»Die werden sich die Zeit zu vertreiben wissen, bis wir sie eingeholt haben«, sagte sie zu ihm.
»Und müssten noch länger auf uns warten, wenn wir über Stock und Stein marschierten. Immerhin haben die Römer gute Straßen gebaut …«, meinte Tascio.
Boudicca nickte. Die Große Straße schnitt sich wie ein Schwerthieb kerzengerade durch das Land nördlich von Londinium, wo vormals ein keltischer Pfad der natürlichen Landschaft gefolgt war.
Die Große Königin trampelt nieder das Korn,
Zertritt die Reben,
Ihre Speis ist gemahlen aus dem Schmerz der Helden,
Deren Blut sie wandelt zu Wein.
Hinter ihr wurde noch immer gesungen. In zwei Tagen war sie mit ihrer Horde weiter vorgestoßen, als sie das für möglich gehalten hätte. Aber eine römische Legion war noch schneller. Als sie mit Reitern und Streitwagen nach Norden zog, einen ungeordneten Haufen von Männern und Wagen im Gefolge, war es Boudicca, als höre sie das stetige Trampeln genagelter Sandalen auf Stein in den Ohren klingen.
Die Römer kamen. Der letzte Späher, der zu ihnen stieß, berichtete, dass Paulinus sein Heer wieder vereinigt habe. Würde er sie in der Festung bei Letocetum halten, oder würden sie weiter südwärts ziehen? Die römische Straße war ein Verbindungsweg, auf dem Britannier und Römer früher oder später zwangsläufig aufeinanderstoßen würden. Boudicca dachte an wilde Wirbelströmungen am Meeresufer, wo das Wasser aus einem Bergfluss talwärts stürzt und auf die einlaufende Flut prallt – zwei unstillbare Strömungen, jede für sich ihrem eigenen Naturgesetz gehorchend. Wo immer sie aufeinanderstießen, erzeugten sie eine wilde Urgewalt, in der keine Seite siegen konnte.
Die Straße ist eine Falle, dachte sie und betrachtete nachdenklich das endlose Band aus Stein, das sich schnurgerade bis zum Horizont erstreckte. Wir müssen uns querfeldein schlagen, bevor wir auf die Römer treffen, um einigermaßen Deckung zu haben.
Doch unterdessen rollte der Zug der Pferde und Wagen stetig weiter und weiter.
Die Sonne senkte sich bereits über den westlichen Hügeln. Durch eine Baumlinie hindurch konnte sie in der Ferne Wasser glitzern sehen – möglicherweise ein guter Lagerplatz für die Nacht.
Weitere Kostenlose Bücher