Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
schienen. Es gab nichts, wovor man sich fürchten konnte. Es war dumm, sich zu ängstigen.
Das änderte nichts daran, daß es ihr die Kehle zuschnürte; daß sie nach Luft rang; daß ihr flau im Magen wurde und die schweißfeuchten Hände gefühllos kribbelten. Sie brachte alle zur Verzweiflung – den Priester, der ihr zuredete, daß es hier nichts gab außer Gottes grünem Land… ihren Vater, der schrie, er dulde solchen törichten Weiberkram nicht in seiner Burg… und so hatte Gwenhwyfar gelernt, sich keinem Menschen mehr anzuvertrauen. Nur im Kloster zeigte man Verständnis für sie. Oh, das schöne Kloster. Dort fühlte sie sich so wohl wie eine Maus in ihrem Loch. Sie mußte die Burg nie verlassen, außer um in dem ummauerten Klostergarten spazierenzugehen. Wie gern wäre sie wieder dort gewesen. Aber jetzt war sie eine erwachsene Frau. Ihre Stiefmutter hatte kleine Kinder und brauchte Gwenhwyfars Hilfe.
Auch der Gedanke zu heiraten bereitete ihr Angst. Aber dann würde sie endlich ihr eigenes Haus haben, in dem sie tun und lassen konnte, was sie wollte. Dann war sie die Herrin, und niemand würde es wagen, sich über sie lustig zu machen!
Unter ihr in der Koppel galoppierten die Pferde. Aber Gwenhwyfars Blick richtete sich auf den schlanken, rot gekleideten Mann, dem die dunklen Locken in die gebräunte Stirn fielen. Er schien eins zu sein mit den Pferden, und sie verstand, daß die feindlichen Sachsen ihn »Elfenpfeil« nannten. Jemand hatte ihr zugeflüstert, daß in ihm tatsächlich Feenblut floß. Lancelot vom See nannte er sich, und sie hatte ihn an jenem schrecklichen Tag gesehen, als sie sich verirrte, und er war in Begleitung einer furchteinjagenden Fee gekommen, um sie zu retten…
Lancelot hatte das Pferd eingefangen, das er wollte. Ein paar Männer ihres Vaters riefen ihm eine Warnung zu, und Gwenhwyfar stockte vor Entsetzen der Atem. Sie war selbst nahe daran aufzuschreien. Nicht einmal der König ritt dieses Pferd, nur ein oder zwei seiner besten Zureiter wurden mit ihm fertig. Lancelot machte lachend eine wegwerfende Bewegung. Ein Mann rannte herbei und hielt das Pferd, während er ihm den Sattel auflegte. Seine Worte und sein Lachen drangen bis zu ihr.
»Einen Zelter kann jede Dame mit einem Zügel aus geflochtenem Stroh reiten. Ich will euch zeigen, daß ich mit diesem Lederzaumzeug das wildeste Pferd bändigen kann, das ihr habt, und ein Streitroß aus ihm mache. Seht ihr… so!« Er zog unter dem Bauch des Pferdes einen Gurt fest und schwang sich dann mit einer Hand auf den Rücken des Tiers. Das Pferd stieg, und Gwenhwyfar sah mit vor Erstaunen offenem Mund, wie er sich vorbeugte und es zwang, die Vorderhufe wieder auf den Boden zu setzen. Er hatte es fest in der Hand und brachte es dazu, versammelt zu gehen. Das feurige Tier versuchte immer wieder auszubrechen und kämpfte gegen seinen Reiter. Lancelot wies einen der Männer an, ihm einen langen Spieß zu geben.
»Paßt auf…«, rief er. »Angenommen, dieser Strohballen da ist ein Sachse mit seinem großen Stumpfschwert…«
Das Pferd schoß los und donnerte über die Koppel. Die anderen Pferde stoben auseinander, als er auf den Strohballen zugaloppierte und ihn in der Mitte aufspießte. Dann riß er das Schwert aus der Scheide, wendete das Pferd mitten im Galopp und schwang dabei das Eisen über dem Kopf.
Selbst der König wich ein paar Schritte zurück, als Lancelot auf die Männer zuraste. Aus vollem Galopp brachte er das Pferd vor dem König zum Stehen, saß ab und verbeugte sich. »Mein König! Gestattet mir, Pferde und Männer auszubilden, damit Ihr sie in die Schlacht führen könnt, wenn die Sachsen wiederkommen. Dann werdet Ihr sie so vernichtend schlagen wie Artus letztes Jahr im Wald von Celidon. Wir haben Siege errungen. Aber eines Tages werden wir vielleicht die große Schlacht schlagen müssen, bei der sich entscheidet, ob Sachsen oder Römer für alle Zeiten über dieses Land herrschen. Wir richten jedes Pferd ab, das wir bekommen. Aber Eure Pferde sind besser als alle, die wir kaufen oder züchten können.«
»Ich bin nicht Artus' Vasall«, erwiderte ihr Vater. »Bei Uther war das etwas anderes. Er war ein erprobter Kämpfer, und Ambrosius vertraute ihm. Artus ist kaum mehr als ein Junge…«
»Das glaubt Ihr noch, nach all den Schlachten, die er gewonnen hat?« fragte Lancelot. »Er sitzt seit über einem Jahr auf dem Thron und ist Euer Großkönig, Herr. Ob Ihr ihm Treue geschworen habt oder nicht, jede
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