AvaNinian – Zweites Buch
Das Kaminfeuer verbreitete eine solche Hitze, dass ihnen der Schweiß ausbrach, und beißender Kampfergeruch nahm ihnen den Atem. Besorgt kniete Ninian neben dem alten Mann nieder. Den Zettel in ihrer Tasche hatte sie vergessen.
»Vitalonga, was fehlt Euch? Sollen wir einen Heiler holen?«
Der Händler schüttelte schwach den Kopf, trotz der Gluthitze zitterte er am ganzen Körper. Als Jermyn vorsichtig seinen Geist berührte, fand er wirre Gedanken, Anklagen gegen einen unbekannten Übeltäter und Klagen um verlorenes Ansehen und den Verlust geliebter Menschen, gemischt mit Fetzen von Verkaufsgesprächen, wildem Feilschen und gelehrten Ausführungen über Kunst. Er zog sich schleunigst zurück und der Alte sah mit trüben Augen zu ihm auf, griff nach Tafel und Stift und kritzelte einige Worte darauf. Er reichte sie Ninian und ließ sich erschöpft in die Kissen zurückfallen.
KANN NICHT REDEN, WAS WOLLT IHR?, las sie und sah zweifelnd zu Jermyn, der jedoch unmerklich mit dem Kopf nickte. Ninian zog das Papier aus ihrer Tasche und hielt es Vitalonga hin. Die Zeichnung darauf zeigte die Darstellung auf dem Petschaft, aber Ninian sagte schnell:
»Ich hab das auf einem Relief in den Ruinen gefunden und wollte wissen, was es zu bedeuten hat?«
»Wir sagen nichts von den Siegeln«, hatte Jermyn entschieden, »wer nichts weiß, kann auch nichts verraten, weder absichtlich noch unabsichtlich.«
Vitalonga griff lustlos nach dem Papier und für einen Augenblick klärten sich seine Augen. Er warf ihnen einen seltsamen Blick zu und schrieb ein einziges Wort:
»DEMARIS.«
Jermyn hob die Brauen.
»Ah, und weiter?«
Der alte Mann schüttelte müde den Kopf. Doch so schnell gab Jermyn nicht auf.
»Das reicht nicht. Nur noch ein kleiner Hinweis ...«
»Lass ihn, er ist doch krank«, wehrte Ninian ab, aber er legte ihr die Hand auf die Schulter. Durch die Kleidung spürte sie seine Finger, eisenhart vom Klettern, und schwieg. Auch Vitalonga schien etwas in den schwarzen Augen zu sehen, was ihn veranlasste, sich stöhnend aus seinen Decken zu schälen. Mit einem anklagenden Hustenanfall verschwand er in seinem Lager und kehrte nach einiger Zeit mit dem Leporello zurück. »Historie der Großen Stadt Dea« stand in altertümlichen Lettern auf dem Deckblatt. Er drückte Ninian das Buch in die Hand.
»Und jetzt verschwindet und lasst mich in Ruh!«, sagte sein Blick und Jermyn verneigte sich höflich.
»Wir danken Euch, Vitalonga. Gehabt Euch wohl!«
Er verließ den überhitzten Raum, aber Ninian zögerte.
»Können wir Euch nicht helfen? Ihr braucht Pflege, Arzneien ...«
Der alte Mann hatte plötzlich Tränen in den Augen. Er tätschelte ihre Hand und schüttelte den Kopf. Widerwillig erhob sie sich.
»Wie Ihr meint, aber ruft uns, wenn Ihr Hilfe braucht!«
In der Tür stieß sie fast mit einem langen, hageren Menschen zusammen, der den Kopf einziehen musste, um durch den niedrigen Eingang zu treten. Er war, ähnlich wie Vitalonga, in einen langen Kaftan gekleidet und trug ein besticktes Käppchen auf seinem schütteren Haar. Ein hölzerner Kasten hing auf seinem Rücken, mehrere Taschen und Beutel baumelten vor seiner Brust. Er musterte sie mit milde forschendem Blick, aber sie hörte Jermyns ungeduldige Stimme und ging hinaus. »Hast du den Mann gesehen?«
»Ein Quacksalber, wahrscheinlich«, er hatte die Schulter gezuckt, »zeig her, was hat Vitalonga dir gegeben? Ach, Legenden von der Stadtgründung, nutzloses Zeug ...«
Ninian begann trotzdem, sie zu lesen, und verstand bald, warum Vitalonga sie ihr gegeben hatte.
Nun war sie bei der letzten Geschichte angelangt, einer Geschichte von Verrat und Gewalt, die dennoch den Beginn der langen, ruhmreichen Herrschaft des kaiserlichen Dea bedeutete. Sie las mit Spannung, über ihr fauchte der Wind mit tausend Stimmen um den alten Wachturm, doch das Knistern des Feuers übertönte ihn und sie räkelte sich wohlig in ihren warmen Hüllen. Manchmal knackte es in den Deckenbohlen, ein vertrautes Geräusch, das nicht störte.
Sie war so vertieft, dass sie zusammenfuhr, als die Messingringe des Vorhangs klirrten und Jermyn hereinkam. Ohne ein Wort streifte er seine Kleider ab, Gürtel und Stiefel landeten mit dumpfem Aufprall in einer Ecke. Auf bloßen Füßen tappte er zum Kamin und stocherte so heftig im Feuer, dass es aufloderte, dann knarrte das Bett, er zerrte an den Decken und lag still.
Ninian rührte sich nicht, zu sehr überraschte sie sein Gebaren. Wenn er nach
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