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Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst

Titel: Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dror Mishani
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du uns gebeten hast zu schreiben, Reue.«
    »Richtig, Reue, aber wer sagt, dass in Reue auch Versöhnung oder Vergebung oder Schönheit liegt? Im Gegenteil, ich zumindest sehe in Reue Aufruhr, Bedauern und Hass. In Gershon Shofmans Geschichte etwa findet man Reue, aber keine Versöhnung und auch nichts Literarisches. Nur Verwirrung und Bedauern.« Er kramte in seinem Rucksack und holte das Buch mit dem blauen, abgestoßenen Einband heraus. »Was man in dieser Erzählung hingegen findet, ist Verachtung für die Literatur … Erinnert ihr euch – der Erzähler zürnt dem Schnee, oder vielmehr dem literarischen Bild vom Schnee, dessentwegen er Vater geworden ist, obwohl er dies nie sein wollte, niemals Kinder wollte. Schofman schreibt: ›Wodurch letztlich ward ich eingefangen? Was führte mich in die Irre? War es die Liebe? Die große Liebe? Ich bin mir darüber im Zweifel. Mehr als die Liebe selbst haben all jene listigen Dinge dazu beigetragen, die sie umgeben‹ – sprich: die Literatur – ›die Wolken, der Wind und der Schnee … jawohl, der Schnee, der Schnee war es, der mich getrogen!‹ Diese Erzählung hat kein harmonisches Ende. Der Held bedauert, Kinder in die Welt gesetzt zu haben, und er ist dazu verurteilt, sein Leben im Zeichen dieser Reue und des Bedauerns zu führen.«
    Die ältere Kursteilnehmerin war ganz offensichtlich nicht in der Lage, Michaels wundervolle Ausführungen zu verstehen: »Aber ich glaube, es hat bei uns am Ende wirklich eine Versöhnung gegeben, von beiden Seiten«, beharrte sie.

    Michael verspätete sich. Offenbar sprach er noch mit der Studentin, die unmittelbar nach der Stunde zu ihm gekommen war. Seev wartete auf dem Museumsvorplatz auf ihn. Es war bereits Abend, und gutsituierte Paare strömten ins Kammeri-Theater und in die Oper.
    Als Michael nach ein paar Minuten mit der jungen Studentin aus dem Gebäude kam, erblickte er Seev und fragte: »Wartest du auf mich?«
    Die Studentin verabschiedete sich. Michael steckte sich eine Zigarette an, die er aus einer zerknautschten Schachtel Nobles zog, und Seev antwortete: »Ich dachte, du brauchst sicher eine Mitfahrgelegenheit nach Hause.«
    »Ah, danke, aber ich wollte noch eine Freundin besuchen.«
    Seev besann sich schnell und erwiderte: »Kein Problem, ich fahr dich eben hin.«
    »Das liegt überhaupt nicht in deiner Richtung, sie wohnt am Yad-Eliyahu-Stadion.«
    Als Seev in der vorigen Woche auf ihn gewartet und ihm eine Mitfahrgelegenheit angeboten hatte, hatte er Michael erzählt, er wohne im Norden von Tel Aviv, nicht weit von dessen Wohnung entfernt, am nördlichen Ende der Ben-Yehuda, in der Straße, in der sie tatsächlich gewohnt hatten, bevor Ilay geboren wurde. »Ach Quatsch, ich dreh gern eine Runde.«
    Sie gingen zum Parkplatz, auf dem Seev den alten Daihatsu abgestellt hatte. Michael schritt aus wie einer, dem die Stadt gehörte.
    Nur für diese abendliche Fahrt hatte Seev Michal am Morgen um den Wagen gebeten, hatte sie zur Schule gebracht und war anstatt mit dem Roller mit dem Auto nach Tel Aviv gefahren. Auf dem Beifahrersitz und der Fußmatte davor lagen jede Menge Bücher und CD s verstreut, die Seev wegräumte und sich für das Chaos entschuldigte.
    »Du hast hier ja eine rollende Bibliothek«, meinte Michael.
    Als Seev die Autostereoanlage anschaltete, erfüllten die Klänge eines Streichquartetts von Schostakowitsch den Wagen, ehe er das Gerät die CD ausspucken ließ und wie zu sich selbst sagte: »Danach ist mehr jetzt nicht.« Im Radio liefen gerade die Acht-Uhr-Nachrichten.
    Ilays Kindersitz hatte Seev auf der Rückbank belassen, und Michael hatte ihn bei der letzten Fahrt bemerkt und sich erkundigt, wie viele Kinder er habe und wie alt sie seien. »Eins«, hatte Seev geantwortet. »Einen Jungen. Er ist schon fast ein Jahr alt, und ich hab mich noch immer nicht daran gewöhnt, Vater zu sein.«
    Dann fragte Seev, welche Route er zum Yad-Eliyahu am besten nehmen sollte, und sie bogen nach links auf die Ibn-Gvirol ab, in Richtung der Yehuda-Halevi.
    »Die Stunde war ganz schön anstrengend, nicht wahr? Sie hat nicht ein Wort von dem verstanden, was du gesagt hast«, meinte Seev.
    Aber Michael sah ihn erstaunt an. »Ich hatte im Gegenteil den Eindruck, dass es ein gutes Treffen war. Sie hat mich überrascht. Eine wirklich schöne Erzählung. Ich hoffe, dass ich nicht missverstanden wurde.«
    Als sie die Kreuzung am Maariv-Verlagsgebäude erreichten, bog Seev nach rechts auf die Yitzhak-Sadeh ab, anstatt

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