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Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst

Titel: Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dror Mishani
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Balkon aus, in seinem Wohnzimmer und in den Dünen, wo die Suchaktion stattgefunden hatte. Auf das Treffen mit Avraham hatte er sich vorbereitet, seit der versprochen hatte, noch einmal zu ihnen in die Wohnung zu kommen. Er hatte weit mehr über Inspektor Avraham nachgedacht als dieser über ihn, da war er sich sicher. Auf dessen Bitte hin reichte er dem Polizisten seinen Personalausweis und erinnerte ihn daran, dass die Adresse nicht mehr stimmte. »Die richtige Adresse wissen Sie ja«, meinte er und lächelte, war aber unsicher, ob Avraham die Bemerkung verstanden hatte.
    Es war das vierte Mal, dass sie zusammentrafen.
    Das erste Mal waren sie sich am Donnerstag begegnet. In der Wohnung. Avraham hatte es vorgezogen, ihn zu ignorieren, und sich mit Michal in der Küche unterhalten. Auf ihn hatte man eine kleine Polizistin aus der zweiten Reihe losgelassen. Wenige Worte waren an der Tür gewechselt worden. Am Freitag hatten sie im Treppenhaus beide keine Notiz voneinander genommen. Und schließlich waren sie sich am Sabbat über den Weg gelaufen, während der Suchaktion, die Avraham leitete. Bei allen vorangegangenen Begegnungen hatte Seev versucht, Avrahams Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, aber ohne Erfolg. Diesmal würde es anders sein. Obschon die ersten Fragen, die er gestellt bekam, formal und trocken waren und Avraham wie erloschen auf ihn wirkte. Seev wurde gefragt, wie lange er und seine Frau schon in dem Haus wohnten, nicht aber, wo sie vorher gewohnt hatten. Er wurde gefragt, in welchem Bereich und wo er arbeitete, doch Avraham unterbrach ihn mitten in der Antwort.
    »Welcher Art ist Ihre Bekanntschaft mit dem Vermissten?«
    Seev antwortete: »Ich war sein Nachhilfelehrer. Deshalb bin ich doch hier, oder etwa nicht?«
    »Sie sind hier, weil Sie darum gebeten haben«, erwiderte Avraham. »Sie sagten, Sie hätten zweckdienliche Informationen in Bezug auf die Ermittlung. Ich bin ganz Ohr.«
    Eine SMS von Michal, die er in der Pause zwischen der zweiten und der dritten Stunde gelesen hatte, hatte ihn für einen Moment erschreckt. Sie schrieb, Inspektor Avraham von der Polizei habe nach ihm gesucht und wolle ein Treffen vereinbaren. Seine Telefonnummer hatte sie gleich mitgeschickt. Er hatte ihn in der nächsten Pause angerufen, aber Avraham war nicht zu erreichen gewesen. Als er mittags mit ihm telefoniert hatte, außerhalb des Schulhofes, hatte Avraham ihn, wie er es formulierte, zur Fortsetzung der Befragung aufs Revier bestellt. Und jetzt hatte er ihm gerade ausdrücklich gesagt, er sei nur hergebeten worden, weil er selbst dies gewünscht hätte. Offenbar konnte er also völlig beruhigt sein, was seinen Versprecher in den Dünen betraf. Es sei denn, das Ganze war ein Vernehmungstrick.
    »Nicht unbedingt Informationen«, sagte Seev. »Ich wollte Ihnen von Ofer erzählen. Ihnen ein Bild von ihm vermitteln. Ich hoffe, das wird Ihnen bei den Ermittlungen helfen. Ich bin sicher, Sie haben schon mit seinen Lehrern in der Schule gesprochen, aber ich hatte die Möglichkeit, Ofers Leben aus einem ganz besonderen Blickwinkel zu betrachten. Ich habe ihm Einzelunterricht erteilt, in seinem Zimmer, und ich kenne auch seine Eltern und sein Umfeld. Das scheint mir doch ein großer Vorteil zu sein.«
    Avraham wollte wissen, wie der Kontakt zu Ofer zustande gekommen war, und Seev schilderte die Umstände. Meinte, dass seine Worte Interesse bei seinem Gegenüber weckten. In dieser Phase des Gesprächs konnte er die Mimik des Polizisten, der von Zeit zu Zeit verstohlen auf die billige Digitaluhr an seinem rechten Handgelenk schaute, noch nicht richtig deuten. Seev wollte ihn fragen, warum seine Eltern ihn Avraham genannt hatten. Sie wussten doch, dass er damit einen Doppelnamen haben würde, der immer ein Grinsen auslösen würde. Vor allem bei Kindern. Wenn er gekonnt hätte, hätte Seev ihn auch gefragt, wie Avraham Polizeibeamter geworden war und was er studiert hatte. War der Polizeiberuf schon immer sein Ziel gewesen?

    Ofers Eltern hatten erfahren, dass Seev Englischlehrer an einem Gymnasium in Tel Aviv war. Offenbar von Michal. Eines Abends hatte Ofers Mutter bei ihnen angeklopft und gefragt, ob Seev vielleicht bereit wäre, dem Jungen Privatstunden zu geben. Das sei ein paar Wochen nach Beginn des neuen Schuljahres gewesen, höchstwahrscheinlich noch im September. Ofers Klasse war in mehrere Leistungsgruppen eingeteilt worden, nach Anzahl der Prüfungsfächer fürs Abitur, und Ofer wurde einer niedrigeren Gruppe mit

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