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Axis

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Titel: Axis Kostenlos Bücher Online Lesen
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Er saß noch lange da und dachte nach.

 
11
     
     
    Die Straßen auf dem oberen Küstenabschnitt waren noch nicht vollständig von der Asche – beziehungsweise dem zähen Schleim, der entstand, wenn sie sich mit Regen vermischte – geräumt worden, daher sahen sich Lise und Turk gezwungen, bei einem Motel zu halten und ein Zimmer zu mieten, während die erschöpften Räumkommandos der Provisorischen Regierung eine besonders heikle Serpentinenstraße freischaufelten.
    Das Motel war ein an den Waldrand gestellter Flachbau, hohe Weiden beugten sich über das Gebäude wie trauernde Riesen. Es war auf die Bedürfnisse von Fernfahrern und Waldarbeitern ausgerichtet, stellte Lise fest, weniger auf die von Touristen. Sie strich mit dem Finger über die schmale Fensterbank in ihrem Zimmer und zeigte Turk die Staubspur.
    »Vermutlich von letzter Woche«, sagte er. »Hier wird nicht viel Geld fürs Saubermachen ausgegeben.«
    Der Staub der Götter also. Die Nachrichten waren voll von Spekulationen darüber: Fragmente von Dingen, die einst vielleicht Maschinen waren, Fragmente von Dingen, die einst vielleicht lebende Organismen waren, molekulare Gebilde von nie gesehener Komplexität… Aus dem Nebenzimmer konnte Lise Stimmen hören, es klang wie ein Streit auf Philippinisch. Sie zog ihr Telefon hervor, für eine weitere Dosis Lokalnachrichten.
    »Denk dran…«, sagte Turk, der sie beobachtete.
    »Ja, keine Anrufe machen oder entgegennehmen. Ich weiß.«
    »Wir müssten das Dorf morgen um diese Zeit erreichen. Vorausgesetzt, dass die Straße über Nacht geräumt wird. Dann werden wir vielleicht mehr erfahren.«
    »Du hast ja sehr großes Vertrauen in diese Frau. Wie sagtest du, heißt sie, Diane?«
    »Ich würde es nicht unbedingt Vertrauen nennen. Sie muss das mit Tomas erfahren, vielleicht kann sie etwas tun, um ihm zu helfen. Und sie war lange Zeit in das hiesige Vierten-Netzwerk involviert – möglich, dass sie sogar etwas über deinen Vater weiß.«
    Lise hatte Turk gefragt, wie lange er schon Kontakte zu Vierten habe. Von Kontakten könne man nicht sprechen, hatte er erwidert. Er habe dieser Frau, Diane, in der Vergangenheit den einen oder anderen Gefallen getan, und offenbar sei sie es gewesen, die Sulean Moi empfohlen hatte, Turks Charterunternehmen in Anspruch zu nehmen, um so diskret wie möglich über die Berge zu gelangen. Mehr als das wusste er nicht, hatte er nie wissen wollen.
    Lise sah wieder auf die Fensterbank, auf den Staub. »Irgendwie habe ich das Gefühl, dass alles miteinander zusammenhängt. All die seltsamen Sachen, die geschehen sind – die Asche, Tomas, was immer dort im Westen vorgeht…«
    In den Nachrichten gab es erste Berichte von dem Erdbeben, das die Ölförderanlagen in der Rub al-Khali vorübergehend stillgelegt hatte.
    »Es muss nicht unbedingt miteinander zusammenhängen«, erwiderte Turk. »Es ist nur eben dreifachseltsam.«
    »Bitte?«
    »Das hat Tomas oft gesagt. Merkwürdigkeiten treten gern gehäuft auf. Zum Beispiel, als wir einmal mit einem Frachter durch die Straße von Malakka gefahren sind. Wir hatten Maschinenprobleme und mussten vor Anker gehen, um die Reparaturen durchzuführen. Am nächsten Tag dann spielte das Wetter völlig verrückt, ein Monsun, den niemand vorhergesagt hatte. Und am Tag darauf war der Himmel zwar wieder klar, aber wir mussten malayische Piraten vom Deck spülen. Sobald irgendwas Sonderbares passiert, meinte Tomas immer, kann man sich mehr oder weniger darauf verlassen, dass es bald dreifachseltsam wird.«
    Wie tröstlich, dachte Lise.
     
    In der Nacht teilten sie sich ein Bett, schliefen aber nicht miteinander. Beide waren sie müde, beide, dachte Lise, wurden sie sich immer mehr der Tatsache bewusst, dass dies kein Zelt an einem Bergsee, kein harmloses Wochenendabenteuer war. Höhere Instanzen waren alarmiert, Menschen waren zu Schaden gekommen. Und wenn sie an ihren Vater dachte, begann sie sich zu fragen, ob er womöglich in ein ähnliches Wunderland der Dreifachseltsamkeit hineingestolpert war. Vielleicht war sein Verschwinden nicht freiwillig gewesen: Vielleicht war er entführt worden, so wie Turks Freund Tomas, von unbekannten Männern in einem nicht gekennzeichneten Transporter.
    Turk war eingeschlafen, kaum dass er die Matratze berührt hatte – typisch. Trotzdem war es schön, neben ihm zu liegen, seinen Körper an ihrer Seite zu spüren. Er hatte vor dem Zubettgehen geduscht, der Geruch von Seife und Männlichkeit strahlte von ihm ab

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