Axis
gut damit zu tun, Tischdecken auszubreiten und Kühlbehälter mit Eis und alkoholfreien Getränken durch die Gegend zu schleppen, bis die Veranstaltung Fahrt aufgenommen hatte, Hot Dogs in rauen Mengen verteilt wurden, sich Teenager, die er kaum kannte, Frisbeescheiben zuwarfen, Kleinkinder zwischen den Füßen herumkrochen – und für all das war es ein perfekter Tag, sonnig, aber nicht zu heiß, dazu ein leichter Wind, der den Grillrauch wegtrug. Schon im Alter von dreizehn wusste Brian die leicht narkotisierende Atmosphäre eines solchen Picknicks zu schätzen, eines Nachmittags, an dem die Zeit vorübergehend stehen bleibt.
Doch dann tauchten seine Kumpel Lyle und Kev auf und lockten ihn von den Erwachsenen weg. Weiter unten im Gehölz gab es einen Bach, wo man Steine werfen und Kaulquappen fangen konnte. Brian bat um eine Pause von seiner Arbeit und verschwand mit den beiden im Schatten des Waldes. Am Bach, der in einem flachen Bett über von Gletschern herangeschafftem Kies floss, fanden sie nicht nur Steine zum Werfen, sondern überraschenderweise auch eine Behausung: ein Segeltuchzelt, schief und verschmutzt, Plastiktüten, rostige Dosen (Schweinefleisch mit Bohnen, Tierfutter), leere Flaschen, ein korrodierter Einkaufswagen und schließlich, zwischen zwei Eichen, deren Wurzeln aus der Erde wuchsen und sich ineinander verschlangen wie eine Faust, ein Bündel alter Kleider – das bei genauerem Hinsehen gar kein Bündel war, sondern ein toter Mensch.
Er musste schon seit Tagen dort liegen. Er wirkte aufgedunsen – ein zerlumptes rotes Baumwollhemd spannte sich über dem gewaltigen Bauch – und zugleich geschrumpft, so als wäre etwas Wesentliches aus ihm herausgesaugt worden. Die unbedeckten Körperteile waren von Tieren angeknabbert, auf den milchig weißen Augen krochen Käfer, und als der Wind drehte, war der Geruch auf einmal so übel, dass Kev sich in das klare Wasser des Baches erbrach.
Die drei Jungen rannten zurück, um Pastor Carlysle von ihrem Fund zu erzählen, und das war dann das Ende des Picknicks. Die Polizei wurde gerufen, ein Rettungswagen kam, um den toten Obdachlosen abzutransportieren, und die nun düster gestimmte Gemeinschaft ging auseinander.
In den folgenden sechs Monaten erschienen Kev und Lyle nicht zum Gottesdienst, so als bestünde ein Zusammenhang zwischen der Kirche und dem Toten. Brian reagierte genau entgegengesetzt: Er glaubte an die schützende Kraft der Kapelle, eben weil er gesehen hatte, was jenseits davon lag.
Er hatte den Tod gesehen – und so hätte ihn dieser eigentlich nicht mehr überraschen dürfen. Trotzdem war er schockiert, als er sah, was zwanzig Jahre später aus seiner Mailbox sprang, innerhalb der geheiligten Mauern seines Büros und der sorgsam definierten, wenn auch bröckelnden Grenzen seines Erwachsenenlebens.
Zwei Tage zuvor hatte er Lises Anruf erhalten.
Es war am späten Abend. Er war gerade von einer dieser lästigen Zusammenkünfte heimgekommen, die das Konsulat regelmäßig veranstaltete: Drinks im Haus des Botschafters, Smalltalk mit den üblichen Verdächtigen. Brian trank nicht viel, aber selbst das Wenige stieg ihm zu Kopf, daher überließ er, nachdem er sich verabschiedet hatte, dem Wagen das Fahren. So wurde er zwar sehr langsam – das Auto nahm es idiotisch genau mit den Geschwindigkeitsbegrenzungen –, aber äußerst sicher zu der Wohnung gebracht, die er einmal mit Lise geteilt hatte. Er duschte, und während er sich abtrocknete und der Stille der Nacht lauschte, dachte er: Stehe ich innerhalb des Kreises oder außerhalb?
Das Telefon klingelte, als er gerade das Licht ausmachte. Er hielt sich das keilförmige Gerät ans Ohr und hörte ihre ferne Stimme.
Er versuchte sie zu warnen. Sie sprach von Dingen, die er nicht auf Anhieb verstand.
Dann wurde die Verbindung unterbrochen.
Wahrscheinlich hätte er mit dieser Sache zu Sigmund und Weil gehen sollen, doch er tat es nicht. Konnte es nicht. Es war eine persönliche Angelegenheit. Die beiden würden auch so zurechtkommen.
Am nächsten Tag saß er früh in seinem Büro, dachte an Lise, an seine gescheiterte Ehe. Dann griff er zum Telefon und rief Pieter Kirchberg an, seine Kontaktperson in der Abteilung für öffentliche Sicherheit der Provisorischen Regierung.
Kirchberg hatte ihm in der Vergangenheit schon eine Reihe kleiner Gefallen getan, und Brian hatte sich mehr als einmal dafür revanchiert. Die Ostküste von Äquatoria war, zumindest nominell, ein Protektorat
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