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B00BOAFYL0 EBOK

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Titel: B00BOAFYL0 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nassim Nicholas Taleb
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unter gar keinen Umständen unter 48 Dollar fallen. Sein Risiko sei so gering und sein potenzieller Gewinn so hoch.
    Dann kam der Juli. Der Markt fiel noch weiter. Die russische Referenzanleihe (die »Benchmark«) stand jetzt bei 43 Dollar. Seine Positionen steckten in der Verlustzone, aber er erhöhte seinen Einsatz. Inzwischen hatte er seit Jahresbeginn einen Verlust von 30 Millionen Dollar eingefahren. Seine Chefs wurden langsam nervös, aber er erklärte ihnen immer wieder, dass Russland schließlich nicht untergehen würde. Er brachte das Klischee vor, dass es zu groß sei, um zusammenzubrechen. Seiner Meinung nach würde ein Rettungspaket so wenig kosten und so vorteilhaft für die Weltwirtschaft sein, dass es keinen Sinn ergeben würde, seine Bestände jetzt zu verkaufen. »Jetzt muss man kaufen, nicht verkaufen«, wiederholte er immer wieder. »Diese Bonds werden in der Nähe ihres potenziellen Ausfallswertes gehandelt.« Mit anderen Worten: Sollte Russland in Zahlungsverzug geraten oder nicht mehr genug Dollar für die Zinszahlungen auf seine Schulden haben, würden sich die Kurse dieser Anleihen kaum verändern. Wie kam er auf diese Idee? Durch Diskussionen mit anderen Händlern und Emerging-Market-Ökonomen (oder Kollegen, die gleichzeitig als Händler und Volkswirte tätig waren). Carlos steckte ungefähr die Hälfte seines Nettovermögens  – damals 5 000 000 Dollar – in die russische Benchmarkanleihe. »Mit diesen Gewinnen werde ich mich zur Ruhe setzen«, erklärte er dem Broker, der diese Transaktion für ihn ausführte.

Auf dem Tiefpunkt
    Der Markt eilte von einem Negativrekord zum anderen. Anfang August standen die Anleihen knapp über 30 Dollar. Bis Mitte August waren sie auf gut 20 Dollar gefallen. Carlos sah untätig zu. Seiner Ansicht nach waren die Kurse auf dem Bildschirm nicht sonderlich relevant für seine Strategie, »unterbewertete Papiere« zu kaufen.
    In seinem Verhalten zeigten sich allmählich erste Anzeichen eines Frontkollers. Carlos wurde nervös und verlor leicht die Fassung. In einem Meeting brüllte er einen Kollegen an: »Stop-Loss-Marken sind nur etwas für Idioten! Ich werde nicht zu hohen Kursen kaufen und zu niedrigen verkaufen!« Während seiner Erfolgssträhne hatte er gelernt, Händler, die nicht im Emerging-Market-Bereich arbeiteten, herablassend zu behandeln und in ihre Schranken zu weisen. »Hätten wir nach unserem schweren Verlust im Oktober 1997 verkauft, hätten wir nicht die fantastischen Ergebnisse für 1997 erreicht«, pflegte er zu sagen. Seinen Vorgesetzten erklärte er. »Diese Anleihen werden auf sehr niedrigem Niveau gehandelt. Wer jetzt in diese Märkte investieren kann, wird sagenhafte Renditen erzielen.« Jeden Morgen diskutierte Carlos eine Stunde lang den Stand der Dinge mit volkswirtschaftlichen Experten auf der ganzen Welt. Sie alle waren sich mehr oder weniger einig: Diese Verkaufswelle war übertrieben.
    Carlos’ Desk fuhr auch in anderen Emerging Markets Verluste ein. Unter anderem fiel der Wert seiner auf Rubel lautenden Russland-Anleihen. Seine Verluste wurden immer höher, aber er berichtete seinen Vorgesetzten über Gerüchte, dass andere Banken noch weitaus höhere Verluste schrieben – höher als seine eigenen. Er glaubte, sich damit rechtfertigen zu können, dass er »im Branchenvergleich recht gut abschnitt«. Eine solche Situation ist aber ein Anzeichen systemimmanenter Probleme; sie zeigt, dass eine ganze Gruppe von Börsenhändlern sich genau in die gleiche Richtung bewegt. Mit solchen Aussagen – dass auch andere Händler in Schwierigkeiten stecken – belastet man sich selbst. Die Denkweise eines Händlers sollte ihn dazu veranlassen, genau das Gegenteil von dem zu machen, was andere tun.
    Gegen Ende August wurde die russische Benchmark-Anleihe bei weniger als 10 Dollar gehandelt. Das Nettovermögen von Carlos hatte sich fast halbiert. Er wurde entlassen, ebenso wie sein Chef, der Leiter der Abteilung Wertpapierhandel. Der Vorstandsvorsitzende der Bank wurde in eine »neu geschaffene Position« abgeschoben. Die Vorstände konnten nicht verstehen, wieso die Bank so viel in eine Regierung investiert hatte, die nicht einmal ihre eigenen Angestellten bezahlte, zu denen beunruhigenderweise bewaffnete Soldaten gehörten. Das war einer der vielen kleinen Punkte, die Emerging-Market-Ökonomen auf der ganzen Welt trotz ihres ständigen Gedankenaustauschs nicht berücksichtigt hatten. Der Börsenveteran Marty O’Connell bezeichnet

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