B00DJ0I366 EBOK
nicht so durcheinander gewesen wäre. Wenn seine Hände nicht so wunderbar warm wären. Wennwennwenn. Ihre Schläfen pochen. Blanca wird längst auf sie warten, es wird Zeit, dass sie ihre Sachen nimmt und ein Taxi ruft. Aber sie kann nicht. Ihre Beine versagen den Dienst. Ihr Magen knurrt, doch beim bloßen Gedanken an Essen wird ihr schlecht.
Roman ist ein arbeitsloser Journalist, der freiberuflich nichts auf die Beine bringt.
Wie ich, schießt es Sam durch den Kopf. Er ist wie ich. Zu schwach für einen Freelancer, nicht gut genug, um mit dem eigenen Werk irgendwo unterzukommen. Kein Wunder, dass Roman sich an so eine Story krallt, eine verwegen und geheimnisvoll klingende Geschichte. Solche Dinge darf es in einer Familie nicht geben. Ungeklärte Todesfälle, tragische Unfälle. Sam beginnt wieder zu schluchzen. Das Telefon unterbricht sie.
Sie wankt ins Wohnzimmer und nimmt den Hörer.
»Sam? Hier ist Nikolaj.«
»Hallo, Bruderherz.« Seine Stimme besänftigt sie irgendwie, sie ist vertraut, unkompliziert.
»Ich habe vor ein paar Minuten mit Frau Hartmann telefoniert, und wenn du in einer Stunde Zeit hättest, könnten wir mit ihr das Kongresshaus begehen.«
»Wer ist denn Frau Hartmann?«
»Die Eventmanagerin vom Kongresshaus.« Nikolaj lacht. »Schon vergessen? Kannst du?«
Er hat tatsächlich etwas in die Wege geleitet.
»Ausgerechnet jetzt?«, fragt Sam lahm. »Ich will zu Blanca, sie ist seit Stunden allein.«
»Ruf sie an, dass es später wird. Es ist die einmalige Chance, den Ausstellungsraum nackt und kahl anzuschauen. Ab heute Abend bauen sie für einen Ball eine neue Deko auf, danach kann man nicht mehr so freimütig ausmessen.«
»Okay«, seufzt Sam. Er fragt nicht nach Blancas Befinden. Das ist befremdlich, Nikolaj ist eigentlich ein empathischer Typ. Aber sie konfrontiert ihn nicht damit. Sie kann jetzt keine miese Stimmung verkraften, sie ist froh und dankbar, dass Nikolaj sich kümmert, die Dinge erledigt, die zusätzlich zur eigentlichen Gestaltung zu tun sind. »Bis gleich.«
Sie ruft Blanca an und schildert die Situation.
»Natürlich, Kind. Nutze die Chance und schau dich genau um. Mir geht es gut.«
»Ich komme bestimmt gleich danach zu dir.«
»Ist in Ordnung, Sam, überschlag dich mal nicht. I am okay.«
Sam sucht den Plan, den sie für den Ausstellungsraum gezeichnet hat, heraus, packt die Ausdrucke der einzelnen Bilder zusammen. Sie will den ganzen Organisationskram so schnell wie möglich hinter sich bringen.
*
Vor dem Kongresshaus wartet Nikolaj. Seine groß gewachsene Gestalt, sein schwarzes, volles Haar ist so vertraut, dass ihr das Herz aufgeht. Sie umarmt ihn.
»He, Schwester, alles klar?«
Sie zuckt die Schultern.
Er packt sie bei den Oberarmen. »Was ist los?«
»Ich bin in Sorge wegen Blanca.«
»Wie geht es ihr denn?«
Gut, dass du mal fragst, denkt Sam. »Sie scheint in Ordnung zu sein, aber über allem schwebt die Angst vor einem zweiten Schlaganfall, und der wird schlimmer sein, nicht so glimpflich ablaufen!« Die Worte sprudeln aus ihr heraus.
»Sam!« Nikolaj sieht ihr in die Augen. »Sam!«
Er merkt, dass ich völlig durch den Wind bin, denkt Sam. Aber er ahnt nicht, dass die Sorge um Blanca nur ein Teil meiner Panik ist. Sie möchte reden, ihre Sorgen teilen, weinen, wenn es sein muss. Nikolaj scheint so cool mit dem Wissen umzugehen, dass Victoria eine Schwester hatte … Aber das ist kein Thema für zwei, drei Minuten, die man mit seinem Bruder vor einer verschlossenen Tür wartet. Die Flaggen an den Masten knattern im Wind. Sam will fragen: Was soll jetzt werden, Nikolaj? Was wird aus unserer Familie? Doch er kommt ihr zuvor.
»Am Sonntag waren Trixi und ich bei den Eltern. Und auf dem Friedhof. Wie immer.«
»Wie lief es?«
»So lala.« Nikolaj seufzt. »Schade, dass du nicht dabei warst. Du hast Mutter irgendwie besser im Griff!«
»Ich? Sag das noch mal.«
»Werde nicht sauer!« Abwehrend hebt Nikolaj die Hände. »Aber wenn noch eine Frau dabei ist, kann Mutter sich nicht so auf Trixi konzentrieren.«
Sam schüttelt den Kopf. »Nikolaj, ich war das ganze Wochenende bei Blanca! Du hast dich bei ihr nicht sehen lassen, nicht mal angerufen! Jemand muss bei ihr sein. Sie kann nicht allein bleiben. Wenn sie einen zweiten Schlaganfall kriegt … sie könnte sterben!«
»Ich habe das nicht so gemeint, Sam.« Beschwichtigend lächelt Nikolaj, kleine Grübchen erscheinen in seinen Wangen. »Sei mir nicht böse. Ich … okay, ich hätte
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