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Tante Kunigunde würde sich im Sarg umdrehen, wenn sie euch so sehen könnte!“
Beim letzten Satz ließ ich schon mal meine Handtasche aufschnappen . Holte beschämt mein Taschentuch heraus, um schon mal zu üben, damit zwischen mir und den Trauergästen dann auch alles gut klappt.
„ Das Taxi ist da!“, rief meine Schwester und stupste meine Mutter an, die mich unablässig musterte, als hätte ich anstatt meiner Handtasche, meinen Kopf unter den Arm geklemmt.
„ Das Taxi ist da“, äffte ich meine Schwester nach. Und das nicht ohne Grund.
Wir waren auf dieses kostspielige Transportmittel angewiesen, weil meine Mutter keinen Führerschein besaß . Ein Zustand, der in meinen Augen wesentlich tragischer zu bewerten war, als meine Maskerade.
Auf dem Friedhof herrschte bedrückte Betriebsamkeit, als wir zu spät eintrafen. Um den geschlossenen Sarg von meiner Tante , tummelte sich eine Vielzahl von Menschen, die ich nicht kannte und die schon Kränze und Blumenbuketts niedergelegt hatten. Ein Zeichen dafür, dass sich Kunigunde als Wahrsagerin großer Beliebtheit erfreute.
D as Familiengrab der Familie Elster, in dem schon meine Großeltern und mein Vater ihre letzte Ruhe fanden, bestand aus einem riesigen Felsstein, der auf beiden Seiten von zwei Marmorsäulen eingerahmt war. Auf der linken Seite der Säule, saß eine in Stein gemeißelte Elster, die ihre Flügel kraftvoll gespannt hatte, und auf der rechten, eine mit erlahmten Flügeln, die ihren Schnabel in ihrem Federkleid versteckt hielt.
Ich war maßlos enttäuscht, dass der Sargdeckel schon verschlossen war, denn eigentlich wollte ich Tante Kunigunde noch einmal sehen. Deswegen schob ich mich durch die dicht geschlossen Reihen, bis ich direkt vor dem Sarg stand. Ich versuchte, den Deckel zu öffnen. Aber Herr Onkel Hugo wies mich in die Schranken und erklärte mir, dass mein Vorhaben pietätlos sei. Er stellte sich schützend vor den Sarg, um eine Grabrede zu halten.
Er las emotionslos vom Zettel ab . Lobte Kunigundes Lebenslust, ihre Willensstärke und ihre Hilfsbereitschaft. Anschließend faltete er den Zettel wieder zusammen und murmelte in die Trauergemeinde hinein:
„ Ich weiß nicht genau, ob Frau Elster meine Rede gefallen hätte … aber ich glaube schon.“
„ ICH NICHT!“, unterbrach ich ihn.
„ Du hast ihren Lieblingssatz vergessen. Die Wurst ist rund und stramm und freut sich auf das Lamm. Darüber hätte sie sich gefreut!“
Ein unruhiges Raunen erfasste die Trauergäste. Hugo erbleichte und tupfte sich die Schweißperlen von der Stirn. Meine Mutter piepste meinen Namen , und die Musikanten der Trauerkapelle räusperten sich verlegen. Nur einige Damen, die mich schon einige Zeit amüsiert betrachteten, riefen: „Bravo!“
Ich verneigte mich huldvoll vor meinen Verehrerinnen . Wogegen sich Onkel Hugo aus der Verantwortung stahl und den weiteren Verlauf der Feierlichkeit mir überließ. Und das war auch gut so.
Die Bestatter kamen völlig aus dem Takt, als sie den Sarg mit den Seilen ins Grab hinab gleiten ließen. Weil ich die Musikkapelle dazu ermuntert hatte, das Ava Maria in ein lebhaftes Allegro zu verwandeln. Und schon wirkte alles viel lebendiger. Ich stand am Grab und wippte mit meiner Fußspitze, wobei die anderen Trauergäste leise mitsummten.
„ Ja, so hätte sich das Kunigunde vorgestellt“, dachte ich zufrieden und nahm mit einer selbstverfassten Trauerrede Abschied:
Ich werde dich sehr vermissen,
liebe Kunigunde, jede Sekunde, jede Stunde,
mein ganzes Leben lang.
Ich hoffe, dass ich einmal so werde wie du,
und jetzt schlaf’ in Ruh’,
aber bitte tu’ mich für meinen Leichtsinn nicht verfluchen,
ich werde dich so oft ich kann besuchen.
Mit dir reden, und mir Rat holen,
wenn ich nicht mehr weiter weiß,
hab Dank für den Schmuck und die schöne Zeit,
und verzeih mir, es tut mir furchtbar Leid.
Ich flüsterte meinen Abschied schluchzend vor mich hin. Danach nahm ich mein Taschentuch, in dem mein Name eingestickt war und warf es auf ihren Sarg.
Anschließend reichte ich jedem einzelnen Trauergast meine Hand und drückte ihm mein herzlichstes Beileid aus. Meine eigenwillige Kondolenz, wurde mir nicht angelastet, sondern mit wohlwollender Nachsicht und rührender Anteilnahme respektiert.
K apitel 5
Einige Wochen später waren meine Mutter und ich zur Testamentseröffnung geladen. Um genau zu sein, war die kaum wahrnehmbare Anwesenheit meiner Mutter überflüssig. Denn, wie
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