Babkin, unser Väterchen
Himmel offenstehen wird …«
Versprechungen, mein Täubchen, alles nur unverbindliche Versprechungen! Zum Fressen kam er immer zu uns, saß da herum und dröhnte Psalmensprüche, spielte mit seinem heimlichen Kind, der gütige Pope, und betrog uns alle, sobald er zur Tür hereinkam!
Mich wundert's nur, daß er nicht auch Nina, deiner Mutter, das Singen beigebracht hat … Mit Narinskij, dem Metzger, und Blistschenkow, dem Stadtsowjet, hat sie schon fleißig geübt. Was, da staunst du, mein Kindchen? Unser Mütterchen, ein halbes Jahrhundert alt, und treibt's wie eine Häsin … Bin ich nicht ein armer, geschlagener Mann, sag an? Beneidet hat man mich, als ich noch lebte … Davonrennen würd' jeder, wenn er, wie ich jetzt, die grausame Wahrheit kennt.
Geh hin in Frieden, mein zerrupftes Täubchen, mein weißes Schwänchen. Eine Betrogene bist du wie ich. Immer trifft es die Braven …
Auch Walentina versäumt es nicht, das Kreuz zu schlagen und ein stilles Gebet zu sprechen. Zögernd kam sie an die Seite des Bettes, beugte sich über Babkin und küßte ihn auf die eiskalte Stirn. Er wollte sie gerührt umarmen und an sich drücken, aber sein Körper war ja leblos und ihm nicht zu Diensten.
Mit liebendem Blick sah Babkin seiner Tochter nach, als sie das Zimmer wieder verließ. Ist nun Ruhe? dachte er. Wer kann noch kommen? Waren sie nicht alle hier, diese elenden Heuchler? Keinen will ich mehr sehen. Keinen! War ich im Leben vielleicht ein böser Mensch, so hab ich's jetzt genug gebüßt. Mag sein, daß ich das Fegefeuer dadurch gespart habe – oder war es das sogar? Nun laßt mich ruhig in die Ewigkeit ziehen.
Ist es eigentlich Tag oder Nacht, dachte Babkin weiter und gähnte innerlich. Die Fenster haben sie verhängt mit schwarzen Tüchern, die ihnen Mischin, der Sargmacher, geliehen hat. Nur die großen Kerzen brennen still vor sich hin, und an ihrem Niederbrennen kann man erraten, wie die Stunden davongegangen sind. Links neben dem Bett hängt eine Uhr an der Wand, aber ich kann ja den Kopf nicht zu ihr drehen. Eine einfache Uhr ist's …
Babkin hatte zuerst eine Uhr mit einem Gongschlag gehabt, aber Nina Romanowna schrak nachts immer hoch, wenn es, neben ihr an der Wand Bing-bong machte, und wochenlang lag sie Babkin in den Ohren, bis er die Uhr auswechselte gegen eine, die stumm war.
Wäre die Gonguhr noch dagewesen, hätte Babkin jetzt gewußt, wie die Zeit verrann. So aber lag er herum und wußte nicht, ob es Tag oder Nacht war.
Irgendwann schlief er ein, was bedeutete, daß er seiner Umwelt entglitt, für die er sich sowieso nicht veränderte. Ein Toter hat bleich und bewegungslos zu sein, und beide Forderungen erfüllte Babkin.
So hörte er auch nicht, daß nebenan in der guten Stube sein Dahingehen kräftig begossen wurde, wobei Väterchen Pope den Ton angab und mißbilligend bemerkte, daß Blistschenkow, dieser eitle Parteifunktionär, sich bei jeder Gelegenheit an Nina Romanowna drängte und ihr sogar heimlich, wie er dachte, in den prallen Hintern kniff.
Natürlich, wer soviel erbt wie die Babkina, ist ein begehrenswertes Weibchen von der Stunde ihrer Witwenschaft an, auch für einen Stadtsowjet.
Als dann noch Sapanow, der Briefträger, kam und seine Balalaika mitbrachte, stieg die Stimmung, als wäre es ein Volksfest.
Wortkarg und mit umwölkter Miene saß nur Dr. Poscharskij in der Ecke. Er soff still vor sich hin, leerte Glas um Glas und sah trübsinnig zu, wie die anderen zu tanzen begannen.
»Was ist mit dir?« fragte Väterchen Waninow etwas außer Atem und beugte sich zu Dr. Poscharskij hinunter. Er hatte gerade mit Arune Jelisaweta, der Frau des Metzgers Narinskij, getanzt, und der Druck ihres beachtenswerten Busens lag noch auf ihm. »Kommst du nicht darüber hinweg, daß Wadim Igorowitsch nebenan liegt und sein Schimpfen verklungen ist? Gräm dich nicht, Bairam Julianowitsch, dein Totenschein war für uns alle ein Geschenk.«
»Wenn man nur wüßte, woran Babkin gestorben ist!« antwortete Dr. Poscharskij mit trübem Blick. »Woran? Keine Ruhe läßt mir das.«
»Ein Herzschlag, Brüderchen Doktor. Du hast's diagnostiziert.«
»Weil's einfach ist, Sidor Andrejewitsch. Herzstillstand. Jeder Tod ist Herzstillstand! Oder hat man schon einen Toten gesehen ohne ein stillstehendes Herz? Aber jeder Herzstillstand hat eine Ursache. Wo ist sie bei Babkin, frage ich, wo? Er war immer ein gesunder Mensch, der Gute, fast unanständig gesund für den Geschmack eines Arztes. Und da fällt
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