Babylon: Thriller
gesehen zu haben, aber wo? Ich öffnete die Schreibtischschubladen in der Annahme, Laurel hätte ihn weggelegt. Notizblöcke, Büroklammern und ähnliche Utensilien – aber kein Ring. Und dann ein seltener Glücksfall – auf einem Regalbrett über dem Schreibtisch lagen eine Herrenuhr, eine Brieftasche und daneben – Hals Ring.
Ich hörte das Mobiltelefon des Servicetechnikers trällern. In den wenigen Sekunden, die er nicht auf mich achtete, um den Anruf anzunehmen, tat ich so, als griffe ich nach einem Buch, schnappte mir den Ring und streifte ihn über meinen Zeigefinger. Ich bückte mich und kramte zwischen den Aktenordnern auf dem Fußboden, fand einen mit der Aufschrift »Wohnungsangelegenheiten« und blätterte ihn durch. Ich entnahm ihm einen Grundsteuerbescheid und richtete mich auf. »Da ist es ja. Das habe ich gesucht.«
Der Mann hielt mir sein Telefon hin. »Gip möchte Sie sprechen.«
»Hi, Gip. Hören Sie, es ist alles okay. In einem Regal liegen eine Brieftasche und ihre Armbanduhr. Sie wurden nicht mitgenommen, daher glaube ich, dass sie sich keine Sorgen wegen eines Einbruchs machen müssen. Wahrscheinlich war Laurel mit ihren hausfraulichen Pflichten ein wenig überfordert. Das ist nicht unbedingt ihr Ding. Ich sage Laurel, Sie soll mit Ihnen reden, wenn sie wieder zurückkommt.«
Ich gab dem Techniker das Mobiltelefon zurück. Er sagte noch einige Worte zu Gip, dann beendete er das Gespräch. »Okay, er sagt, wir sollen einstweilen alles so lassen, wie es war. Er schreibt einen Bericht für den Hauseigentümer.«
Bevor ich das Gebäude verließ, notierte Gip noch, welches Dokument ich mitgenommen hatte. Ich war geradezu euphorisch, dass ich den Ring gefunden hatte, und fühlte mich, als wäre mir soeben eine erdrückende Last von den Schultern genommen worden.
Meine Hände waren größer als Hals und der Ring war so eng, dass ich ihn nicht ganz auf meinen Finger schieben konnte. Es war ein schweres, klobiges Schmuckstück und ich ballte die linke Hand zur Faust, um sicherzugehen, dass er nicht herunterfiel. Sobald ich mich in sicherer Entfernung vom Gebäude befand, nahm ich ihn ab. Auf einem der Basketballfelder an der 4. Straße West war ein Match im Gange. Eine verschwitzte, lärmende Schar von Zuschauern drängte sich am Maschendrahtzaun. Ich hatte hier viel Zeit verbracht und so manches schnelle Spiel verfolgt. Ich schlenderte über die Straße.
Am Ende des Zauns fand ich einen ruhigen Platz und untersuchte den Ring etwas genauer. Er sah alt aus, mit fein ziselierten Verzierungen in dem goldenen Rahmen um den Solitär. Ich vermutete, dass der Ring eine antike, möglicherweise viktorianische Kopie eines alten keltischen Giftrings war. Der Stempel des Goldschmieds auf der Innenseite des Rings bestätigte meine Vermutung – ein solches Zeichen findet man nicht an modernen Ringen. Der Diamant funkelte in der Sonne, als lebte Minas Geist darin. Ein Schauer des Unbehagens ließ mich frösteln.
Da ich darin ein winziges Scharnier vermutete, drückte ich auf eine kleine Verzierung an der Krone des Rings. Ich hörte ein leises Klicken und drehte die Fassung mit dem Diamanten nach außen. Ein winziges zusammengefaltetes Stück Papier lag in dem kleinen Hohlraum darunter. Ich faltete es mit zitternden Händen auseinander.
Hals feine, blaue Tintenschrift sprang mir regelrecht ins Auge: Trinity-Janssen Mausoleum .
Ich hatte gestern richtig getippt. Ich war so nah dran gewesen! Hal hatte demnach die Schrifttafel tatsächlich im Mausoleum auf dem Friedhof neben der Church of the Intercession versteckt. Obgleich Mina dort nicht beerdigt worden war, hatte er jederzeit Zugang zu dem Ort.
Obgleich mir die Schrifttafel am Vortag so knapp durch die Lappen gegangen war, machte das Auffinden des Rings mir Mut. Meiner Einschätzung nach hatten die Alchemisten Laurels Arbeitszimmer verwüstet, als sie nach der Schrifttafel oder irgendwelchen Hinweisen suchten, die sie zu ihrem Versteck hätten führen können. Wahrscheinlich hatte sie ihnen angedeutet, sie sollten dort nachschauen. Sie wusste zwar nichts Genaues, hatte aber Zeit gewinnen wollen und ihnen deshalb diesen Köder vorgeworfen. Ein cleverer Schachzug von ihr. Das bedeutete auch, dass sie geistig noch so weit auf der Höhe war, dass sie rational denken konnte. Der Uhrzeit auf meinem Mobiltelefon nach war es 11:48. Mir blieben noch neun Stunden, um sie zu befreien.
Ich machte einen Abstecher zu Garber’s Hardware, wo ich eine Stiftlampe und
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