Babylon: Thriller
eine mit Akku betriebene Säge kaufte, um das Vorhängeschloss zu durchtrennen. Die Säge war nur dreißig Zentimeter lang und daher leicht zu verstecken. Ich warf meine Kleidung in eine Mülltonne, um im Koffer Platz für die Schrifttafel zu schaffen. Nachdem ich mich durch einen schnellen Blick in die Runde vergewissert hatte, dass Eris und ihre Komplizen mich offenbar noch nicht im Visier hatten, stoppte ich ein Taxi.
Auf dem Friedhof hielt ich Ausschau nach dem Wärter, aber von ihm war nichts zu sehen. Auch sonst gab es keine Besucher. Vielleicht war das Glück endlich mal uneingeschränkt auf meiner Seite. In der Annahme, dass es die besagte Janssen-Grabstätte war, ging ich schnurstracks zu dem namenlosen Mausoleum. Als ich an dem Vorhängeschloss zog, fiel es herunter. Der Bügel war sauber durchgesägt worden. Die Tür schwang auf, ohne durch angesammelten Schmutz gebremst zu werden, ein weiteres Indiz, dass vor mir jemand hier gewesen war.
Ich steckte das Vorhängeschloss in die Tasche und zog die Tür von innen zu. Dann knipste ich die Stiftlampe an und ließ den Lichtstrahl durch das Innere der Grabkammer wandern. Bleiche Tausendfüßler und Spinnen zogen sich auf der Flucht vor dem grellen Schein meiner Lampe eilig in die dunklen Nischen zurück. Steinsärge standen vor den Wänden, einer mit halb geöffnetem Deckel. Der Lichtstrahl meiner Lampe streifte ein Durcheinander von bräunlichen Knochen, die nicht auf ihre sonst übliche, geordnete und symmetrische Art und Weise im Sarg lagen. Kühle und feuchte Luft umgab mich in diesem Mausoleum. Abgesehen von den Knochen und einigen Spinnweben war nichts weiter in dem Sarg. Im zweiten Sarg befand sich ein völlig intaktes und offenbar unberührtes Skelett. Die Schrifttafel war verschwunden.
Ich war wie betäubt vor Enttäuschung, dass diese letzte Hoffnung, Laurel befreien zu können, sich zerschlagen hatte.
Als ich das Grabmal verließ, ertönte eine schneidende Stimme. »Einen Moment mal. Sie waren doch gestern schon hier. Ich dachte, ich hätte mich bei dieser Gelegenheit klar ausgedrückt.« Der Friedhofswärter kam den Hügel hinter dem Mausoleum herab, diesmal jedoch ohne ein freundliches Lächeln.
Während ich ein Stück zur Seite trat, so dass er nicht sehen konnte, dass das Vorhängeschloss nicht an seinem Platz war, sagte ich: »Nachdem Sie mich zur Urnenhalle geschickt haben, erfuhr ich, dass es dort keinerlei Unterlagen über meine Großtante gibt. Daher kam ich hierher zurück, um an dem Ort nachzuschauen, den mein Cousin mir genau beschrieben hat.«
»Das ist ein wenig seltsam, da dieses spezielle Mausoleum keinen Namen hat.«
»Ich dachte, es gibt hier irgendeinen Hinweis, der mir entgangen ist.«
»Und Sie haben natürlich auch vergessen, dass Sie eigentlich gar nicht hier sein dürfen.«
»So könnte man es ausdrücken.«
Er musterte mich einige Sekunden lang ungehalten. »Was ist nur mit euch Leuten los? Bereits heute Morgen musste ich jemanden hinauswerfen. Einen von diesen Rucksacktouristen. Ich denke, keiner kann mehr richtig lesen.«
»Wie sah er aus?«
»Ein wenig wie Sie, aber kleiner und hagerer. Dunkle Haare.«
»Hatte er einen Akzent?«
»Ja, aber sein Englisch war gut.«
Tomas. Ich entschuldigte mich für das Eindringen und beeilte mich, aus seinem Blickfeld zu verschwinden.
Ich zerbrach mir den Kopf, um zu begreifen, wie Tomas sich das zusammengereimt hatte. Er hatte gesagt, er habe an der Columbia einige Kurse besucht, daher war es durchaus möglich, dass er das Anagramm gelöst hatte. Außer dass der Ring sich in meinem Besitz befand. Er war nicht in den Genuss von Hals letztem Hinweis gelangt. Konnte meine gestrige Unterhaltung mit Ari der Auslöser gewesen sein, als ich mir ein wenig hatte in die Karten blicken lassen? Immerhin hatte ich Ari von meinem Besuch auf dem Friedhof erzählt. Hatte er möglicherweise diese Information an seinen Bruder weitergegeben? Höchstwahrscheinlich. Irgendwie war mir klar, dass ich Tomas nicht über den Weg trauen konnte.
Wie auch immer, Tomas hatte jetzt die Schrifttafel Nahums. Seine Doppelzüngigkeit erschütterte mich. Er hatte mich getäuscht und Laurel praktisch zum Tode verurteilt. Ich würde ihn in der Luft zerreißen, wenn ich ihn in die Finger bekäme.
Wut ist eigentlich ein schlechter Verbündeter. Sie umnebelt das Hirn. Aber selbst wenn ich hellwach gewesen wäre und meine Sinne aufs Äußerste angespannt gewesen wären, hätte ich es nicht kommen sehen. Als ich
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