Baccara Collection 186
kleinen, sehr ruhigen Innenhof in der Mitte des Gebäudes”, informierte sie ihn. „Diese Zimmer bekommen unsere Gäste.”
„Dann sind wir hier also im Privatflügel der Familie”, stellte er fest.
Sie nickte.
„Ich möchte jedes einzelne Zimmer sehen”, verlangte er.
„Natürlich.” Während Desiree den Korridor entlangging, öffnete sie eine Tür nach der anderen. „Dies ist - beziehungsweise war - die Wohnung meiner Urgroßeltern. Schlafzimmer, Wohnzimmer, Ankleideraum und Bad.” Die nächste Tür stand schon offen. „Das ist die kleine Küche, in der sie für sich Tee und Kaffee kochten. Gegessen wurde unten, oder sie ließen sich etwas aus der Küche bringen.”
Mathis merkte sich jedes Detail, auch wenn es im Moment noch so unwichtig erscheinen mochte.
„Hier ist das Gästezimmer, in dem ich schlafe.” Es befand sich auf der linken Seite des Korridors. „Neben meinem Schlafzimmer befindet sich ein zweites Gästezimmer. Dazwischen gibt es ein Bad. Dies hier ist der Salon”, fuhr sie fort und öffnete eine Tür auf der rechten Seite. „Und das war das Arbeitszimmer meines Urgroßvaters.” Diese Tür stand ebenfalls offen. Desiree trat vor Mathis ein.
„Sehr schön”, bemerkte er, als er ihr in das geräumige Arbeitszimmer folgte.
Desiree strich über die Rückenlehne eines altmodischen und sehr bequem wirkenden Sofas. „Hier hielt sich mein Urgroßvater am liebsten auf”, sagte sie eine Spur sanfter.
„Das kann ich ihm sehr gut nachempfinden.” Mathis blickte sich gründlich im Zimmer um. „Es wirkt sehr englisch.”
„Meine Urgroßeltern kamen von Herefordshire über Indien hierher”, erwiderte sie.
Das hatte Mathis sich auf Grund der Ziergegenstände und der Gemälde bereits gedacht. Die Möbel und die Einrichtung stellten eine Mischung aus englischen und indischen Stücken dar, alles sehr schön und anheimelnd. Wie überall im Stratford hatte man auch hier das Gefühl, in eine andere Zeit zurückversetzt zu werden. Es war jedoch wichtig, wieder auf das eigentliche Problem zurückzukommen. „Wo genau waren Sie letzte Nacht, als Sie die Schritte hörten?”
„Ich lag im Bett.”
Offenbar merkte sie nicht, dass sie mit dieser Auskunft bei ihm Bilder auslöste, die nichts mit dem aktuellen Fall zu tun hatten. Desiree in einem hauchdünnen Nachthemd, wie sie sich in ihrem Bett schlaflos herumwälzte, allein, ohne einen Mann an ihrer Seite. Desiree, wie sie sich in ihrem Bett an ihn schmiegte und er die Hände unter ihr Nachthemd schob, sie über ihre Haut gleiten ließ und … „Und was haben Sie dann getan?” fragte er hastig, um sich abzulenken.
„Ich bin aufgestanden.”
Mathis verbot sich streng, seiner Fantasie weiterhin freien Lauf zu lassen. Es war zu verlockend, Desiree Stratford vor sich zu sehen, wie sie aus dem Bett stieg. Ihr Haar war ausnahmsweise doch zerzaust, ihre Augen waren klein vor Müdigkeit, ihre Lippen schimmerten feucht und … Nein, daran wollte er nicht denken. „Und weiter?”
„Ich habe einen Blick auf den Korridor geworfen, weil ich wissen wollte, ob sich dort jemand aufhält.” Sie schlug einen nüchternen Ton an.
„Aber da war niemand”, vermutete Mathis.
„Nein, ich habe niemanden gesehen”, bestätigte sie.
„Und dann?”
„Die Tür des Arbeitszimmers war geöffnet. Dabei war ich ganz sicher, sie nach meiner Arbeit geschlossen zu haben.” Desiree fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Es war das erste Anzeichen von Nervosität, das Mathis bei ihr auffiel. „Darum wollte ich auch hier nachsehen. Ich griff nach einem Spazierstock meines Urgroßvaters, tastete nach dem Schalter und machte das Licht an.”
Warum musste sie ihn mit der verlockenden Zungenspitze ablenken, wenn es ihm doch gerade gelungen war, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren? Wieso musste er jetzt wie der auf ihre feucht schimmernden Lippen starren? „Das war nicht gut”, stellte er fest.
„Mag schon sein”, räumte sie ein. „Aber was hätte ich sonst machen sollen?”
„Es ist immer besser, vorbereitet zu sein und eine Strategie zu entwickeln, als bloß zu reagieren”, belehrte er sie.
„Und woher stammt diese Weisheit, wenn ich fragen darf?” erkundigte sie sich und sah ihn aus grünen Augen herausfordernd an.
„Von General Sun Tzu, wenn auch nicht wortwörtlich.”
Sie runzelte nachdenklich die Stirn. „Ich habe noch nie von General Sun Tzu gehört.”
„Er schrieb ungefähr fünfhundert vor Christus eine Abhandlung
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