Baccara Collection 186
Sekunde lang herrschte betretenes Schweigen, ehe Desiree sehr damenhaft sagte: „Ich verstehe.”
Hatte sie es tatsächlich verstanden? Jedenfalls nahm sie die Eröffnung erstaunlich ruhig auf. „Es geht um deine Sicherheit, Desiree. Darum ist es nötig.”
Sie wandte den Blick ab.
„,Es ist besser, vorbereitet zu sein und eine Strategie zu entwickeln, als bloß zu reagieren’”, zitierte er noch einmal.
„Der chinesische General, nicht wahr?” fragte sie und lächelte.
„Ja. der chinesische General”, bestätigte er.
„Ich muss ,Die Kunst des Krieges’ irgendwann lesen”, meinte sie nachdenklich. „Aus alten Büchern kann man tatsächlich viel lernen.”
„Ich leihe dir mein Exemplar”, bot er bereitwillig an, obwohl er sich mit ihr lieber über etwas anderes als Kriegskunst unterhalten hätte.
Desiree nickte. „Vielleicht, wenn der Fall geklärt und abgeschlossen ist.”
Es wunderte ihn nicht, dass sie das Angebot nicht sofort annahm. „Die Kunst des Krieges” war nicht unbedingt als Lektüre vor dem Einschlafen geeignet, und damit hatte sie offenbar Schwierigkeiten. Nun, er kannte Mittel und Wege, um müde genug für einen ungestörten nächtlichen Schlaf zu werden.
Allerdings bezweifelte er, dass die Lady aus Boston auf seine Vorschläge eingegangen wäre.
Als Mathis ungefähr zehn Minuten später den Knopf für den Aufzug drückte, fiel ihm noch etwas ein. Jemand hatte einst geschrieben, dass in der Liebe und im Krieg alles erlaubt ist.
Und er war ziemlich sicher, dass dies nicht General Sun Tzu gewesen war.
7. KAPITEL
Er war kein Voyeur.
Er mochte vieles sein - ein Lauscher an der Wand, ein Betrüger, ein Schwindler, ein Lügner, ein Dieb, ein Schwächling, manchmal auch ein Feigling und ganz sicher ein Narr. „Die alten Narren sind die schlimmsten”, pflegte Charlotte zu sagen.
Aber er betrachtete sich nicht als verkommen. Er genoss es nicht, andere Menschen in intimen Momenten zu beobachten. Daher hatte er sich abgewandt und war weggegangen, sobald die beiden einander küssten.
Er war nicht schlecht. Es hatte in seinem Leben sogar Zeiten gegeben, in denen er sich stolz als Offizier und Gentleman bezeichnet hatte. Das war er auch tatsächlich gewesen. Doch das lag schon sehr lange zurück.
Trotzdem half es ihm, sich an seine glanzvolle Vergangenheit zu erinnern. Wenn er das tat, hielt er sich gleich viel straffer und richtete sich hoch auf - zumindest so hoch, wie es der enge und niedrige Gang erlaubte.
Er lebte oft in der Vergangenheit, die er bei weitem der Gegenwart vorzog. In der heutigen Zeit fühlte er sich eingeengt. Und an die Zukunft wollte er schon gar nicht denken, weil das viel zu schmerzhaft und deprimierend gewesen wäre.
Also zog er sich immer öfter in die Vergangenheit zurück und fühlte sich dort glücklich. In der damaligen Zeit, der guten alten Zeit, da war ein Mann noch ein Mann gewesen. Er hatte seinen Platz in dieser Welt gefunden. Und er hatte gewusst, wer er war und was er darstellte. Man hatte zu ihm aufgesehen. Man hatte ihn respektiert. Man hatte ihn mit Würden und Ehren überhäuft. Alle hatten ihn als Helden verehrt.
Ja, die gute alte Zeit …
Er strich sich über die faltige Wampe „Alter Narr murmelte er, als er Feuchtigkeit fühlte.
Bestimmt tropfte es von der Decke herunter. Diese Feuchtigkeit auf dem Gesicht konnten keine Tränen sein. Er weinte nicht. Er weinte nie. In seinem ganzen Leben hatte er noch keine einzige Träne vergossen, nicht einmal bei Charlottes Tod im letzten Winter.
Er holte ein Taschentuch hervor und wischte sich über Augen und Nase. Das war vermutlich eine Allergie gegen Staub, Schimmel oder andere Sporen. Der Himmel allein wusste, was es da alles gab.
Ja, das war sicher eine Allergie.
Ich bin kein Schuft, redete er sich ein. Er hatte nicht die Nachricht geschrieben und mit dem Dolch auf dem Schreibtisch festgenagelt. Er würde keiner Menschenseele etwas zu Leide tun. Er wollte niemanden verletzen oder auch nur in Angst versetzen. Das war absolut nicht seine Absicht.
Er sorgte lediglich für sich selbst - und natürlich auch für die Damen. Seine Absichten waren edel, selbstlos und durchaus gerechtfertigt. Schließlich verdienten sie alle, ein Dach über dem Kopf zu haben.
Niemand mochte Veränderungen, am allerwenigsten er. Man sagte immer, dass Veränderungen unvermeidlich wären, doch von dieser angeblichen Weisheit hielt er nichts. Es war nicht nötig, dass sich etwas änderte. Alles konnte bleiben,
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