Baccara Collection 186
wie es gewesen war. Steuern musste man bezahlen, und sterben musste man. Wenn man es geschickt anstellte, konnte man dem Tod zwar nicht ausweichen, wohl aber dem Bezahlen der Steuern.
Überleben. Ja, darum ging es. Jeder Mensch besaß das Recht, für sein Überleben zu kämpfen. Gehörte das nicht zu den grundlegenden menschlichen Bedürfnissen und Rechten?
Es war sein Recht zu überleben, ein Recht, das ihm niemand nehmen konnte.
Lügner …
Schon früher war er durch Umstände, die sich seiner Kontrolle entzogen, gezwungen gewesen, andere Menschen zu belügen. Doch er hatte sich immer geschworen, sich selbst nie zu belügen. Nun tat er es doch. In Wahrheit stand nämlich zwischen ihm und den anderen Menschen nichts weiter als sein unüberwindlicher Stolz. Dabei hätte es vermutlich genügt, eine Bitte auszusprechen..
Nein, er wollte keine Almosen!
„Hochmut kommt vor dem Fall”, lautete ein Sprichwort. Man konnte das Wort Hochmut aber auch durch Stolz ersetzen.
Nun, er war gefallen, sehr tief sogar. Sein Stolz, sein fabelhafter und gleichzeitig fürchterlicher Stolz, war jedoch unversehrt geblieben. Alle dachten, er hätte einen besseren Platz zum Leben gefunden. Sein alberner Stolz ließ nicht zu, diese Ansicht zu korrigieren.
Jetzt ging es ums Überleben. Darum bewegte er sich wie ein Geist.
Niemand sah ihn, niemand hörte ihn.
Natürlich musste er sehr vorsichtig sein. Wenn er manchmal sehr müde oder hungrig war, stellte er sich ungeschickt an. Er fürchtete, dass man ihn dann hörte und vielleicht sogar entdeckte. Aber ganz sicher wusste niemand, dass er hier war.
Wenn über die merkwürdigen nächtlichen Geräusche gesprochen wurde, war die Rede vom Alter des Stratford, von knarrenden Dielenbrettern, von mangelhafter Isolierung der Wände, von dringend nötigen Reparaturarbeiten, sogar von einer grundlegenden Renovierung, von Mäusen und auch von Ratten.
Und manchmal kamen sogar Geister und Gespenster ins Spiel.
Er glaubte nicht an Geister, jedenfalls nicht an solche, die durch das Hotel streiften. Allerdings stimmte im Stratford irgendetwas nicht.
Er blickte nicht vollständig durch. Er wusste nicht, wer die Warnung auf dem Schreibtisch des alten Jules hinterlassen hatte, noch dazu durchbohrt mit diesem kostbaren Dolch. Er wusste auch nicht, wer die Möbel verrückte. Nun gut, ein oder zwei Stücke hatte er an sich genommen, um es etwas bequemer zu haben, aber alles andere war nicht auf ihn zurückzuführen.
Es gab noch jemanden, der sich im Verborgenen hielt und nachts durch das Hotel schlich. Und dieser Jemand führte nichts Gutes im Schilde. Das spürte er mit jeder Faser seines alten, kampferprobten Herzens.
Er wollte Augen und Ohren aufsperren, auf das Hotel aufpassen und es beschützen, wie er es so viele Jahre lang getan hatte.
Der Cowboy hatte Recht. Es handelte sich um Krieg. Um einen Krieg im Verborgenen.
8. KAPITEL
„Es heißt, dass sie am Jahrestag ihres Todes durch die Korridore des Stratford wandern, Kugeln ausweichen und selbst wild um sich schießen, natürlich nur mit Waffen, die genau wie sie der Welt der Geister angehören”, berichtete Miss Maggie Mays soeben Mathis voll Genuss, als Desiree den Aufenthaltsraum neben der Hotelhalle betrat.
Mathis wartete schon seit einer Viertelstunde auf Desiree. Es war zwanzig Minuten über den Zeitpunkt hinaus, zu dem im Hotel Stratford üblicherweise der Tee serviert wurde, und es sah ihr nicht ähnlich, zu spät zu kommen. In den vergangenen Tagen hatte er festgestellt, dass sie äußerst pünktlich war.
„Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen”, sagte Desiree zu allen Anwesenden und setzte sich auf den einzigen noch freien Stuhl am Tisch. „Das Gespräch mit den Konservatoren hat sich so lange hingezogen. Es ging um die beste Methode für die Reinigung des Deckengemäldes in der Hotelhalle.” Sie zögerte kurz, bevor sie hinzufügte: „Hoffentlich haben Sie mit dem Tee nicht auf mich gewartet.”
„Nein, das haben wir nicht, meine Liebe”, erwiderte Miss Molly. „Aber wir haben Ihnen ein Stück Möhrenkuchen aufgehoben. Wir wissen doch, wie gern Sie Möhrenkuchen essen.”
Mathis wusste allerdings, dass Desiree niemals Möhrenkuchen aß, weil sie ihn nicht leiden konnte. Wenn er sich nicht täuschte, hatte es etwas damit zu tun, dass sie keine Rosinen mochte. So viel hatte er schon über sie herausgefunden, viel mehr aber leider nicht.
Miss Maggie Mays wandte sich mit leichtem Vorwurf an ihre Zwillingsschwester.
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