Baccara Collection 186
„Es ist nicht Miss Stratford …” Die alte Dame stockte, räusperte sich, nahm einen Schluck Tee und begann erneut. „Es ist nicht Mrs. Hazard, die so gern Möhrenkuchen isst, meine Liebe.”
Ihre Schwester war sichtlich betroffen und sah sie über den Rand der Brille hinweg an. „Ach, wirklich nicht?”
Miss Maggie Mays schüttelte den Kopf.
„Wer ist es denn dann?” fragte Miss Molly Mays verunsichert und ließ den Blick über alle Anwesenden wandern.
„Du solltest lieber fragen, wer es war”, verbesserte sie Miss Maggie.
„Wer es war?” wiederholte Miss Molly.
Miss Maggie nickte zufrieden. „Es war der Major”, verkündete sie, als handelte es sich um eine weltbewegende Information.
„Ja, natürlich! Wie albern von mir, das durcheinander zu bringen und die beiden zu verwechseln.” Miss Molly wandte sich reumütig an Desiree. „Es tut mir schrecklich Leid, Mrs. Hazard. Ich dachte an jemand anders. Sie bevorzugen Zitronenkuchen, nicht wahr?” Prüfend betrachtete sie das Angebot auf dem Tablett. „Ich fürchte, Andre hat uns heute keinen Zitronenkuchen gebacken.”
„Das geht schon in Ordnung, Miss Mays”, versicherte Desiree. „Ich habe ohnehin keinen Hunger und nehme nur eine Tasse Tee.”
„Soll ich einschenken?” fragte die zweite Zwillingsschwester.
„Ja, bitte”, erwiderte Desiree. „Und lassen Sie sich nicht bei der Unterhaltung stören.”
„Ich habe Mathis gerade erzählt, dass der Stadtrat von Chicago einen Antrag verabschiedet hat, in dem Mrs. O’Leary und ihre Kuh Daisy von aller Schuld freigesprochen werden, das große Feuer des Jahres 1871 ausgelöst zu haben”, berichtete Miss Molly.
„Was du nicht sagst!” rief Miss Maggie aus.
„Ja, allerdings, das ist eine Tatsache”, versicherte Miss Molly eifrig.
Ihre Zwillingsschwester schüttelte seufzend den Kopf. „Wie finde ich denn das? Nach so langer Zeit für unschuldig erklärt zu werden! Unvorstellbar.”
„Der Stadtrat betonte ausdrücklich, der Zweck dieses Antrags wäre nicht, jemand anders die Schuld zuzuweisen. Es ginge lediglich darum, eine hart arbeitende Witwe und ihre Kuh, die von der Geschichte falsch beurteilt wurden, zu rehabilitieren. ” Miss Molly beugte sich über den Tisch und vertraute sich ihren aufmerksam lauschenden Zuhörern an: „Es sieht so aus, als wäre der wahre Schuldige ein gewisser Daniel Sullivan, der sich zu jenem Zeitpunkt in Kate O’Learys Stall aufhielt.”
Miss Maggie drückte ein zierliches Taschentuch, das mit rosa Stickerei verziert war, an die Nase und verkündete: „Das ist ja alles schön und gut, meine liebe Schwester, und mag auch durchaus den Tatsachen entsprechen. Darüber haben wir aber nicht gesprochen.”
„Nein, haben wir das nicht?” fragte Miss Molly verwundert.
„Nein, das haben wir nicht. Wir sprachen über den Major und seine Vorliebe für Möhrenkuchen.”
In Wahrheit hatten ihn die beiden reizenden alten Damen mit Geistergeschichten versorgt, doch Mathis dachte gar nicht daran, das zu erwähnen. Er hatte für heute genug von gemarterten Geistern und anderem nächtlichen Spuk gehört.
Außerdem war sein Informationsbedürfnis, was den großen Brand von Chicago betraf, längst befriedigt worden. Es war höchste Zeit, dem Gespräch eine neue Wendung zu geben.
Er lehnte sich auf dem unbequemen Stuhl so entspannt wie möglich zurück. „Der Major?”
Die drei alten Damen, die noch im Hotel wohnten, nickten gleichzeitig.
„Major Bunk”, informierte ihn Miss Pye. „Er wohnte sehr lange im Stratford.”
„Er ist vor fast einem Jahr von uns gegangen”, sagte die eine Zwillingsschwester und seufzte tief.
„Gestorben?” warf Beano ein, der sich offenbar genauso unbehaglich fühlte wie Mathis. Er versuchte, in der einen Hand eine hauchdünne zierliche Teetasse und mit der anderen den Stetson auf dem Schoß festzuhalten.
„Aber nein, Mr. Jones”, versicherte die Miss Mays, die direkt neben Beano saß. „Der Major ist nicht dahingeschieden. Seine Nichte und ihr Mann haben ihn abgeholt. Er wohnt jetzt bei ihnen auf dem Land und hat sich dadurch sehr verbessert. Seine Verwandten wollten sich aufopfernd um ihn kümmern.”
„In Lake Forest”, fügte ihre Zwillingsschwester hinzu.
Mathis hütete sich zu lächeln. „Ich verstehe”, sagte er sehr ernst.
„Wir hören noch gelegentlich von ihm, aber leider nicht mehr so oft, wie wir uns das wünschen”, sagte Miss Molly.
Um nicht unhöflich zu sein, zeigte Mathis sich interessiert.
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