BACCARA EXKLUSIV Band 45
Falls sie Emma Gilberts Großnichte mit den Skandalen in Washington in Verbindung brachten, so ließen sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Andererseits machten sie es sich auch nicht zur Gewohnheit, auf eine Tasse Kaffee und einen Plausch bei ihr vorbeizuschauen.
Ihre alten Freunde fehlten ihr, und sie sehnte sich vor allem nach ihrer ehrenamtlichen Arbeit, nach den Kindern, um die sie sich gekümmert hatte. Jetzt blieb sie für sich, bezahlte ihre Rechnungen und schickte die monatliche Unterhaltszahlung an die Großeltern der unehelichen Tochter ihres verstorbenen Mannes.
Stan hatte sich zu unmoralischen Dingen hinreißen lassen, die ihn seine politische Karriere gekostet hatten. Eines der Mädchen, das er verführt hatte, war damals noch minderjährig gewesen. Ihr Name war nicht veröffentlicht worden, aber kurz vor Stans tödlichem Unfall hatte sie angerufen, um ihm zu sagen, dass sie gerade sein Kind zur Welt gebracht hatte und Geld brauchte. Völlig verzweifelt hatte Stan versprochen, ihr zu schicken, was er konnte, obwohl sie damals ziemlich abgebrannt waren, da sie Unsummen für seine Verteidigung ausgegeben hatten. Er hatte Sarah die ganze traurige Geschichte gebeichtet und hatte dann den Kopf in ihren Schoß gelegt und geweint.
„Sie hat sie Kitty genannt“, hatte er gestöhnt. „Oh, Sarah, was habe ich nur getan?“
„Pscht, Stan. Wir werden uns etwas einfallen lassen. Wenn alles vorbei ist, können wir sie vielleicht adoptieren.“
Aber bevor sie irgendetwas unternehmen konnten, war Stan gestorben. Und ein sechzehnjähriges Mädchen aus Virginia Beach, das behauptete, Stans Kind bekommen zu haben, war damals die geringste von Sarahs Sorgen.
Irgendwie hatte sie die nächste Zeit durchgestanden, ohne zusammenzubrechen. Clive Meadows, der alte Freund ihres Vaters, war ihr eine große Hilfe gewesen. Am Tag nach der Beerdigung meldete sich dann ein Mann namens Sam Pough bei ihr und erzählte, dass seine Tochter davongelaufen war und ihm und seiner Frau ihren Bastard aufgehalst hatte. Sarah brauchte einige Minuten, bevor ihr klar wurde, wovon er sprach.
Wenn Clive bei ihr gewesen wäre, hätte sie ihm wahrscheinlich einfach den Hörer gereicht und ihn die Sache regeln lassen. Aber später war sie froh, dass sie in dem Moment allein war. Mit einer Ruhe, die in völligem Gegensatz zu ihrem inneren Aufruhr stand, hatte sie versprochen, monatlich eine Summe zu schicken, wenn die Großeltern sich weiterhin um das Baby kümmerten. Sie waren anständige, gottesfürchtige Menschen, wie der Mann mehrere Male betonte, aber ihr Wohnwagen war alt und zu klein, und ihre Sozialversicherung reichte nur bis zu einem bestimmten Punkt.
Sarah hatte also ihr Treuhandvermögen aufgelöst und einen ansehnlichen Scheck für den Kauf eines neuen Wohnwagens geschickt. Seitdem bekamen die Großeltern des Kindes einen monatlichen Zuschuss von ihr unter der Bedingung, dass sie sich um das Baby kümmerten und die Identität des Vaters geheim hielten.
Nachdem die Zeit verging, ohne dass die Poughs sich wieder meldeten, hatte Sarah sich allmählich entspannt. Ihr ganzes Leben lang hatte man sie an der kurzen Leine gehalten, und jetzt, da sie endlich frei war, sie selbst zu sein und zu tun, was sie wollte, ohne Rücksicht darauf nehmen zu müssen, was andere von ihr erwarteten, wusste sie nicht, wo sie anfangen sollte. Ihr erster Schritt war, ihren Lebensstil zu ändern. Sie trug alte Jeans, ging barfuß und trank Wasser aus der Leitung statt aus dem Laden. Nach Jahren, die sie damit verbracht hatte, anderen zu gefallen, brauchte sie jetzt nur an sich selbst zu denken. Allerdings war das Aufrührerischste, das sie bisher zustande gebracht hatte, die halbe Nacht über einem Buch wach zu liegen und dann am nächsten Tag bis mittags zu schlafen.
In letzter Zeit konnte sie nicht einmal das tun. Seit sie mit der längst überfälligen Gartenarbeit angefangen hatte, war sie normalerweise so müde, dass sie schon im Sessel einschlief.
Es gab verschiedene Grade von Langeweile. Ihr Leben war schon immer langweilig gewesen. Bis vor etwa zwei Jahren hätte man es sogar abgestumpft nennen können. Jetzt war es langweilig im Sinne von träge und geruhsam. Sie konnte sich Zeit nehmen, an einer Rose zu schnuppern, am Geißblatt oder am Klatschmohn und was sonst noch auf dem Land wuchs. Sie versuchte, eine Geschichte zu schreiben und zu illustrieren, die sie einem kleinen Mädchen geben wollte, das sie womöglich niemals kennenlernen
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