BACCARA EXKLUSIV Band 45
wir?“
„Richtung Crystal Creek im Südwesten. Ich wohne in der Laburnum Street.“
„Weit weg von der Cherry Lane?“
„So weit nun auch wieder nicht. Es ist eine ruhige, nette Gegend, aber es gibt trotzdem ein paar Kinder. Sicher leben dort auch ein paar Mädchen, die Prinzessin spielen, und Jungs, die ihnen die Kekse zu stehlen versuchen.“ Sie machte eine Pause. „Warum bist du zurückgekommen?“
„An den anderen Orten fand ich nicht das, wonach ich suchte, was ich brauchte“, gestand er. „Ich hoffe, ich finde es hier. Weshalb bist du nach dem Studium nach Roanoke zurückgekehrt?“
„Ich wollte zu Hause etwas bewirken. Meine Brüder haben mich zwar immer zum Wahnsinn getrieben, aber ich fühlte mich verpflichtet, ihnen zu helfen, falls ich dazu in der Lage bin.“ Sie lachte leise. „Das ist mein persönlicher Beitrag, die Zahl der straffälligen Jugendlichen zu reduzieren.“
„Warum hast du keine eigene Kanzlei eröffnet?“
„Weil ich einen schrecklichen Fehler habe“, gab sie zu.
Der Klang ihrer Stimme liebkoste seine Nervenenden, als handele es sich um ein intimes Geständnis. „Was für einen Fehler?“
„Ich habe einen überentwickelten Sinn für Gerechtigkeit“, antwortete sie angewidert.
„Das könnte für einen Juristen in der Tat ein Problem werden.“
„Zieh meinen Berufsstand nicht in den Schmutz. Es ist ein schwerwiegendes Problem. Es könnte mich sogar davon abhalten, eines meiner wichtigsten beruflichen Ziele zu erreichen.“
Stan warf ihr einen raschen Blick zu und stellte zu seiner Überraschung fest, dass sie nicht scherzte, sondern es ernst meinte. „Gerechtigkeitssinn ist eine großartige Gabe.“
„Es zeugt von Unreife.“
„Es zeigt Charakter.“
„Es ist idealistisch und völlig unrealistisch.“
„Ein gutes Ideal“, korrigierte er sie, „das einen Menschen besser macht, als er glaubt, sein zu können.“
Sie hielt inne. „Du überraschst mich immer wieder. Jedes Mal, wenn ich denke, jetzt habe ich dich durchschaut, dann …“
Er grinste über ihren erstaunten Ton. „Dann was?“
„Dann änderst du dich wieder. Als wir jünger waren, habe ich nicht gedacht, dass du dich viel um Charakterstärke oder Gerechtigkeit scherst.“
„Das habe ich auch nicht.“
„Du wolltest vor allem deinen Spaß haben.“
„Das stimmt.“
„Wann hast du dich also geändert?“
Er zog in Erwägung, einer Antwort auszuweichen. Hier handelte es sich um eine persönliche Angelegenheit, und er wusste, dass Jenna ihn mit einer gewissen Skepsis betrachtete. Er rang einen Moment mit sich und entschied dann, dass Änderungen nun einmal nicht immer schmerzlos vonstatten gingen. „Da war ein Kerl, der Arzt wurde. Er war klug und beliebt. Er feierte auch gern. Vielleicht war er kein brillanter Arzt, aber er war sehr gut.“
„So wie du?“
Er grinste. „Ist das deine Art, mir sanft zu verstehen zu geben, dass ich nicht brillant bin?“
„Ich bin sicher, du weißt, dass Brillanz so toll nun auch wieder nicht ist“, erwiderte sie.
„Du weißt es jedenfalls?“
„Das habe ich nicht gesagt.“
„Aha.“
„Bitte erzähl weiter. Das ist die interessanteste Unterhaltung, die ich an diesem Abend bisher geführt habe.“
„Die Bemerkung zur Brillanz vergesse ich nicht.“
„Er war ein sehr guter Arzt“, half sie ihm.
„Ja. Sehr karriereorientiert, aber auch ein Mensch, der Spaß haben wollte.“
„Vermutlich war er nicht verheiratet.“
„Richtig.“
„Und er hatte keine Kinder.“
Stan nickte. „Weder das eine noch das andere. Und auch sonst keine Verpflichtungen.“
„Na schön, ich komme nicht mehr mit. Was hat das damit zu tun, dass du nach Roanoke zurückgekommen bist?“
„Er wurde krank, und innerhalb eines Jahres starb er.“ Stan holte tief Luft und erinnerte sich daran, wie Chucks Freunde sich in diesem letzten Jahr in alle Winde zerstreut hatten. „Zu seiner Beerdigung kamen drei Leute. Er war in dem gleichen Alter wie ich, und er hinterließ nichts. Fast war es so, als hätte er nie existiert.“
Eine nachdenkliche Stille entstand zwischen ihnen, die jedoch nicht unangenehm war, wie Stan registrierte. Für Unbehagen lag zu viel Energie in der Luft. Er spürte diese Energie in Jenna und in sich selbst.
„Möglicherweise irrst du dich, was deinen Freund betrifft“, sagte sie schließlich. „Er hinterließ immerhin drei Menschen, denen er etwas bedeutet hat. Und außerdem hat er offenbar Eindruck bei dir hinterlassen“,
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