Back to Blood
Tische, wie bei Ricky’s … die Tische voller Zucker, den niemand wegwischte, wie bei Ricky’s … plastiküberzogene Pappbecher, Papierservietten, Klarsichthüllen, die kleinen Plastikstäbchen, mit denen man den Kaffee umrührte, wie bei Ricky’s … eine Theke, die so hoch war wie die Mädchen groß, die dahinter arbeiteten, wie bei Ricky’s … Aber zwei Sachen waren anders … Erstens, keine pastelitos und deshalb auch kein Ambrosiaduft … Zweitens, der Laden war rammelvoll. Aber in dem Geplapper und Gebrabbel hörte er kein einziges spanisches Wort.
Nestor und Ghislaine warteten vor der Theke in einer lan gen Schlange, um ihre Bestellung aufzugeben. Zufällig schaute Nestor in die große Glasvitrine neben ihm — was zum Teufel war das? Da lagen nicht nur Kuchen und Gebäck, sondern auch abgepacktes Essen … Sachen wie Hähnchen-Salat-Wraps, Sesamnudeln mit Tofu, Estragon-Hühnchen-Salat auf Achtkornbrot, Ensaimada. Als sie es schließlich bis an die Spitze der Schlange geschafft hatten, bestand Nestor groß spurig darauf, beide Kaffees zu bezahlen. Er reichte dem Mäd chen einen Fünf-Dollar-Schein — und war von den Socken! Er bekam einen Dollar zwanzig zurück. Seine Großspurigkeit hatte ihn $3,80 gekostet. Eins neunzig für einen Becher Kaffee! In der Calle Ocho bekam man einen Becher kubanischen Kaffee, der wahrscheinlich um Längen besser war als dieses Zeug hier, für fünfundsiebzig Cent! Mit dem Preis für einen Kaffee konnte man niemanden mehr schockieren als einen Polizisten. Er ging mit Ghislaine zu einem kleinen runden Tisch … auf dessen heller Platte Zucker verstreut war. Wütend stand er wieder auf, holte eine Papierserviette und wischte demonstrativ den Tisch ab. Ghislaine schaute ihn mit großen, unschuldigen Augen an und wusste nicht recht, was sie davon halten sollte. Schlagartig wurde Nestor bewusst, dass er sich in seinen eigenen Vater verwandelt hatte … GEDULD auf einer Gruft. Er beruhigte sich und setzte sich an den Tisch. Aber er ärgerte sich noch immer dermaßen über den Preis des Kaffees, dass er Ghislaine anschaute, als wäre sie für die gottverdammten Preise in diesem Laden verantwortlich. Plötzlich verfiel er in einen geschäftsmäßigen Ich-hab-nicht-den-ganzen-Tag-Zeit-Ton und fauchte sie förmlich an, »Also, was wollen Sie mir erzählen? Worum geht’s?«
Ghislaine war bestürzt über die Verwandlung ihres verständnisvollen Ritters in einen stinknormalen, übellaunigen, schikanösen Bullen. Nestor sah es sofort an ihrem Gesicht. In ihren großen Augen stand jetzt Angst. Sie schien kaum das Zittern ihrer Lippen kontrollieren zu können — und Nestor überkam ein tiefes Gefühl der Schuld. GEDULD auf einer Gruft, dem Grame lächelnd — in Form … eines überteuerten Bechers Kaffee!
Schüchtern, voller Angst, sagte Ghislaine, »Es geht um meinen Bruder, um ihn mache ich mir Sorgen. Er ist fünfzehn und geht auf die Lee de Forest High School.«
»Waassss?«, sagte Nestor.Es hörte sich an wie ein leises pfeifendes Geräusch, das zwischen seinen Zähnen hervordrang. :::::: Dios mío … ein netter höflicher fünfzehnjähriger weißer Junge aus guter Familie, der auf die de Forest geht. Ich darf gar nicht dran denken, was der arme Junge durchmacht. Keine Ahnung, wer von denen schlimmer ist, die Neger -Gangs oder die haitianischen Gangs.::::::
»Kennen Sie die de Forest?«
»Jeder Polizist in Miami kennt die Lee de Forest High School.« Er sagte das mit einem demonstrativ mitfühlenden Lächeln.
»Dann wissen Sie ja auch über die Gangs Bescheid«, sagte Ghislaine.
»Und ob.« Wieder mit einem Gesichtsausdruck voller Mitgefühl und Liebenswürdigkeit.
»Also, mein Bruder — er heißt Philippe. Er war immer ein netter Junge … Sie wissen schon, still, höflich, fleißig — im letzten Jahr auf der Junior High hat er noch Sport gemacht.« ::::::Diese großen unschuldigen Augen! Ich brauche sie nur anzuschauen und schäme mich für mich selbst. Und das alles wegen eines Bechers Kaffee.:::::: »Wenn Sie ihn heute sehen würden«, sagte Ghislaine, »dann würden Sie glauben, er gehört zu irgendeiner afroamerikanischen Gang. Was meines Wissens nicht stimmt, aber sein ganzes Gebaren ist so, als gehörte er zu einer … die ausgebeulte Hose, die so weit runterhängt, dass man denkt, ›Noch ein Zentimeter, dann verliert er sie‹ … und um den Kopf das Bandana mit ›den Farben‹. Und dann stolziert er auf so eigentümliche Art, so wie alle diese
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