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Back to Blood

Back to Blood

Titel: Back to Blood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolfe
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Gangmitglieder gehen.« Sie schlenkerte den Oberkörper hin und her. »Und wie er spricht! Jeder Satz fängt mit ›Mann‹ an. Mann dies, Mann das — und nichts ist gut oder schlecht. Es ist entweder cool oder nicht cool. Dauernd sagt er Sachen wie ›Okay, Mann, für mich ist das cool.‹ Und jede einzelne dieser Sachen macht meinen Vater wahnsinnig. Mein Vater unterrichtet, er ist Professor für französische Literatur an der EGU . Ach ja, das Schlimmste habe ich noch gar nicht erzählt — mein Bruder hat jetzt angefangen mit seinen neuen ›Freunden‹ kreolisch zu sprechen! Das halten sie für extrem cool, weil sie so einem Lehrer eine Beleidigung mitten ins Gesicht schleudern können! Und die Lehrer verstehen nicht, was sie sagen. Damit hat der ganze Ärger an der de Forest überhaupt erst angefangen. Mein Vater erlaubt es nicht, dass wir zu Hause kreolisch sprechen. Ich glaube, Philippe hat das bei anderen Schülern in der Lee de Forest aufgeschnappt.«
    »Moment, Moment«, sagte Nestor. »Kreolisch ist Haitianisch, oder?« Ghislaine nickte … sehr langsam … »Das heißt … ihr Bruder ist Haitianer? «
    Ghislaine stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich wusste, dass das —« Sie verstummte und seufzte. »Okay, dann kann ich Ihnen auch gleich die ganze Geschichte erzählen, das gehört alles zusammen. Ja, mein Bruder ist Haitianer, mein Vater ist Haitianer, meine Mutter war Haitianerin, und ich bin auch Haitianerin. Wir sind alle Haitianer.«
    »Sie sind … Haitianerin? «, sagte Nestor, der nicht wusste, wie er es anders hätte ausdrücken sollen.
    »Aber sie hat doch so helle Haut«, sagte Ghislaine. »Das denken Sie doch, oder?«
    Ja, genau das dachte er … aber Nestor fiel absolut nichts ein, wie er sie auf möglichst taktvolle Weise darauf hätte ansprechen sollen.
    »Es gibt jede Menge hellhäutige Haitianer«, sagte Ghislaine. »Nun ja … nicht gerade jede Menge … aber doch ziemlich viele. Deshalb nehmen uns die Leute auch nicht als Haitia ner wahr … weil wir hellhäutig sind. Unsere Familie, die Lantiers, stammt von einem General Lantier ab, einem der Kommandeure der französischen Truppen, die im Jahr 1802 Haiti besetzt haben. Mein Vater hat auf dem Gebiet intensive Forschungen betrieben … darüber, dass wir Haitianer sind … Aber nicht weil er sich schämt, Haitianer zu sein, überhaupt nicht. Sondern weil man in diesem Land, wenn man sich als Haitianer outet, sofort in eine Schublade gesteckt wird. ›Oh, Sie sind also Haitianer.‹ Und das bedeutet dann, dass man unmöglich das oder das sein kann oder dass man nicht imstande ist, das oder das zu tun. Und wenn man den Leuten erzählt, dass man französischer Abstammung ist, dann glauben sie dir das einfach deshalb nicht, weil sie sich alle nicht vorstellen können, dass jemand, der in Haiti geboren und aufgewachsen ist, französisch sein kann. Aber das sind die Lantiers.«
    Nestor war sprachlos. Er wusste nicht, was er denken sollte. Er war darauf vorbereitet gewesen, dass sie sich als irgendein seltener Paradiesvogel entpuppen würde, so wie sie aussah … Haitianerin! — und jetzt behauptet sie auch noch, von Franzosen abzustammen!
    Sie lächelte Nestor zum ersten Mal an. »Schauen Sie mich nicht so an! Verstehen Sie jetzt, warum unser Vater uns geraten hat, das Thema nie anzusprechen? Sobald man das tut, denken sich die Leute, ›Oh, ein Haitianer … einer von denen … hmmm, ob man sich auf den verlassen kann?‹ … Na los, geben Sie es zu! Hab ich recht oder nicht?«
    Jetzt musste auch Nestor lächeln. Teils weil lächeln einfacher war, als sich eine passende Antwort einfallen zu lassen … teils weil ihr Lächeln ihr Gesicht aufleuchten ließ. Sie wurde ein anderer Mensch :::::: strahlend … das ist das Wort, aber sie ist gleichzeitig verletzlich … sie braucht jemanden, der seinen beschützenden Arm um ihre Schultern legt … und was für Beine!:::::: — allein für diesen Gedanken hasste er sich! Sie war die personifizierte Anmut … und da war noch etwas anderes … Sie war schlau. Das war ihm nicht von vornherein bewusst gewesen. Die Dinge, die sie wusste, das Vokabular, das sie benutzte … das wurde ihm erst nach und nach klar. Sie redete über das »Gebaren« ihres Bruders … Nestor kannte niemanden, der so ein Wort benutzen würde. Und niemand, den er kannte, würde jemals sagen, »stolziert er auf so eigentümliche Art« … Vielleicht würden sie »stolzieren« sagen … aber keiner würde jemals den Ausdruck

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