Back to Blood
manchmal hilft es einem, wenn man sie noch mal hört. Mir hilft es jedenfalls … Soweit ich weiß, ist Miami die einzige Stadt weltweit — weltweit — deren Bevölkerung zu mehr als fünfzig Prozent aus Neueinwanderern besteht … Neu einwanderern, also Einwanderern, die in den letzten fünfzig Jahren gekommen sind … und das ist schon Wahnsinn, wenn man es genau bedenkt. Also, was heißt das? Erst gestern habe ich darüber mit einer Frau geredet, einer Haitianerin, und die sagt zu mir, ›Wenn Sie Miami wirklich verstehen wollen, Dio, müssen Sie vor allem eins begreifen. In Miami, da hasst jeder jeden.‹«
Portuondo, sein Pressefritze, kicherte, als hätte sein Boss einen Witz gerissen. Dio warf ihm einen tadelnden Blick zu und fuhr dann fort: »Aber damit können wir uns nicht zufriedengeben. Wir haben eine Verantwortung, Sie und ich. Was wir aus Miami machen müssen, ist — nein, keinen Schmelztiegel, das ist unmöglich, nicht zu unseren Lebzeiten. Wir können die Leute nicht verschmelzen … aber wir können sie zusammenschweißen … zusammenschweißen … Was ich damit meine? Ich meine damit, wir können sie nicht miteinander vermischen , aber wir können sichere Räume für jede Nationalität schaffen, für jede ethnische Gruppe, für jede Rasse, und sicherstellen, dass sie alle gleich gut leben können. Sie wissen, was ich meine?«
Der Chief hatte keinen Schimmer. Er wollte sagen, dass er in seinem ganzen Leben noch nie so einen Bockmist gehört hätte, aber er traute sich nicht. Was war bloß mit ihm passiert, dem alten Chief? Er wusste es, aber er wollte es nicht in Worte fassen, nicht mal in Gedanken. Was passiert war … war in dem Augenblick passiert, als Dio gesagt hatte, »… dann haben wir ein noch größeres Problem. Und das Problem lautet Führungsqualität.« In Sekundenbruchteilen spulte sich im Kopf des Chiefs der Rest des Komplotts ab. Dio brauchte Chief Booker nur zu feuern und zu sagen, »Wir haben ihn mit einer Position betraut, die Führungsqualität verlangt, und er konnte nicht mal seine eigenen Leute im Zaum halten. Ein Mann mit Führungsqualitäten würde für eine Atmosphäre sorgen, in der solche Dinge nicht passieren, nicht passieren können. Deshalb werde ich einen neuen Chief berufen, jemanden, der stark genug ist, für eine Veränderung der mentalen Atmosphäre zu sorgen, eine echte Führungspersönlichkeit … und er wird ebenfalls aus unserer afroamerikanischen Gemeinde stammen.«
Afroamerikanische Gemeinde, so ein Scheiß. Der Chief fragte sich, ob er oder einer von den Kubanern, die ihn anschauten, um auch ja keinen einzigen köstlichen Augenblick dieses meisterhaften Anschisses zu verpassen — ob überhaupt irgendwer jemals zuvor gehört hatte, dass Dionisio Cruz, dem Bannerträger der Demokratie, der Ausdruck afroamerikanische Gemeinde über die Lippen gekommen war … außer in Anwesenheit einer Fernsehkamera oder eines Hüters des Pressewesens … Der Chief konnte es nicht ausstehen, wenn ein schleimiger weißer Heuchler wie Dio diesen Ausdruck gebrauchte. Weiß? Jeder Kubaner hier im Raum hielt sich für weiß. Ein echter Weißer sah das anders. Die sollten sich mal in Pine Crest oder im Coral Beach Yacht Club oder bei irgendeinem Treffen der Villagers of Coral Gables blicken lassen. Da würden sie ihnen das Kraushaar schon glatt ziehen! Für die echten weißen Jungs waren sie alle braun, farbig, nur einen Hauch oder zwei heller, als er selbst war.
Sie wissen, was ich meine? Diesmal antwortete der Chief nicht mit einem schwächlichen Nicken. Diesmal schüttelte er den Kopf. Nein. Aber sein Kopfschütteln war eine kraftlose Kurskorrektur, ein müdes Nein, so unerheblich, dass der gute alte Dio es nicht mal zur Kenntnis nahm. »Das führt uns zu der Frage, was nun aus unserem Officer Camacho werden soll«, sagte der Bürgermeister. »Er ist halb Miami ein Dorn im Auge. Sie kennen das mit dem Dorn? Aus der Bibel? Dieses kleine Staubkorn, das im Auge festsitzt? Ist nur ein kleines Staubkorn, aber es ärgert einen. Es ärgert einen maßlos. In der Bibel scheinen die Leute größtenteils damit beschäftigt zu sein, sich solche Dornen aus dem Auge zu ziehen. Ein Dorn bringt einen nicht um, aber er kann einem den Tag versauen. Sie wissen, was ich meine?«
::::::Nein:::::: aber diesmal machte sich der Chief nicht die Mühe einer wie auch immer gearteten Antwort. Er war sich sehr deutlich bewusst, wie er auf die anderen Kubaner im Raum wirken musste. Er war inzwischen
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