Back to Blood
herausgeschnitten war, die einen einfachen Steinmetz vor Neid hätte erblassen lassen. Vor ihnen zwei Paare, die auf Englisch in höchster Lautstärke ihrer Verzückung freien Lauf ließen. Danach gingen sie und Norman durch den förmlichen, pingelig prüde kupierten Heckentunnel und — da lag es vor ihnen, das Chez Toi, Dein Heim. Magdalena wusste natürlich, dass sich das Restaurant in einem Haus befand, aber ihre Fantasie hatte sich ein herrschaftliches Haus ausgemalt. Dies hier war nicht herrschaftlich. So viel war trotz der zunehmenden Dunkelheit zu erkennen. Nach Miamis Maßstäben war es ein altes, ein sehr altes Haus, eins der wenigen noch verbliebenen Beispiele des Mediterranean-Revival-Baustils, der vor hundert Jahren modern gewesen war. Fast der gesamte Vorgarten war jetzt eine Terrasse, ein Panorama aus weichem Kerzenlicht auf Tischen im Freien, an denen Menschen speisten. Über ihnen noch mehr Kerzenlicht, in altmodischen Laternen, die an den Zweigen der ausladenden Schwarzdornakazien hingen. Das Kerzenlicht wirkte Wunder auf den weißen Gesichtern der Anglos … die überall waren … Sie schienen auch noch den letzten Platz hier draußen besetzt zu haben. Ihre Stimmen bildeten ein einziges Summen und Plätschern … das nie anschwoll.
Es war herrlich hier draußen, aber ¡Dios mío!, es war ¡heiß!
Sie gelangten in einen Raum, der wie die Vorhalle eines großen alten Wohnhauses aussah, das es für sehr lange Zeit auch gewesen war, komfortabel, aber keineswegs luxuriös … nahe am Meer, aber nicht direkt am Wasser … und sicher nicht das, was Magdalena von dem gesellschaftlich bedeutendsten Restaurant in Miami erwartet hatte … Vor ihnen befand sich eine Treppe, ganz ohne pompös geschwungene Geländer und Brüstungen … links und rechts je eine Rundbogentür … allerdings hatte man die Bögen nach zehn Sekunden wieder ver gessen … und doch drang darunter ein lärmiges Summen und Plappern hervor, Gelächter, ob kreischend oder basso profondissimo, der absurd verzückte Taumel von Sterblichen, die wussten, dass sie dort angekommen waren, wo die Post abging. Wer das einmal gehört hatte, so wie Magdalena auf der Miami Basel, würde dieses Geräusch bis in alle Ewigkeit sofort wiedererkennen.
An einer Seite stand der Maître d’hôtel an einem Pult und konferierte mit sechs Gästen, vier Männern und zwei Frauen. Der Dienstbare, sprich der Maître d’hôtel, war sofort als sol cher zu erkennen. Er war der, der wie ein Gentleman gekleidet war. So war das anscheinend heutzutage. Er trug einen creme farbenen leichten Kammgarnanzug und eine Krawatte im dun kelsten Aubergineton. Die anderen vier Männer, die Gäste, trugen kein Jackett. Gemäß der aktuellen Mode, selbst unter älteren Männern wie diesen, trugen sie ein Hemd mit offenem Kragen. So kamen die tiefen, neben den Nasenflügeln abwärts- strebenden und in Backen und Kehllappen übergehenden Furchen und jene Ouvertüre des Alters, die Sehnen zu beiden Seiten des Adamsapfels, dick wie Harfensaiten, besser zur Geltung. Der Maître d’hôtel begleitete sie hinaus auf die Terrasse und widmete sich dann mit einem angenehmen Lächeln und einem »Bonsoir, Monsieur, Madame« Norman und Magdalena. Das war’s dann mit Französisch, es sei denn, man ließ den Namen des Restaurants gelten. »Willkommen im Chez Toi.« Er hatte ein angenehmes Lächeln an sich — und nicht das, was ein kleines Mädchen aus Hialeah in einem eleganten Lokal wie diesem instinktiv fürchtete, nämlich die Attitüde des maître de votre destin, des Herrschers über dein Schicksal. Norman fragte nach Koroljow und seiner Tischgesellschaft, und der Maître d’hôtel sagte, sie nähmen gerade den Aperitif in der Bibliothek, wie er das nannte. Er begleitete sie zu der Rundbogentür, durch die der verzückte Lärm drang.
Mr. Koroljow … Magdalena knetete ihre Hände und spürte, wie sie zitterten. Jetzt waren Norman und sie im Raum der Verzückten. Männer und Frauen gestikulierten überschwänglich, um dies oder jenes zu unterstreichen, und verdrehten die Augen … Nein, wirklich, das ist das Erste, was ich höre! oder Mein Gott, ist das zu fassen? … und alles übertönend das Lachen, so viel Lachen, dass die ganze Welt wusste, jeder Einzelne von ihnen war integraler Bestandteil dieser exaltierten Versammlung von Halbgöttern. Magdalena hatte beim Betreten des Chez Toi bei Venus, der Göttin der Verführung, geschworen, dass sie cool bleiben würde, ja unnahbar, als
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