Back to Blood
laut! Waren sie betrunken? Nun, vielleicht war das ja ihre Art, einen geliebten Genossen zu begrüßen, aber auf Magdalena machten sie zweifellos einen betrunkenen Eindruck. Sie umarmten ihn stürmisch. Bei jedem Satz aus seinem Mund, als sei er der größte Witz bold, den sie je getroffen haben, johlten und japsten sie, schnappten sie nach Luft vor Lachen. Magdalena hätte alles dafür gegeben, ein bisschen Russisch zu verstehen.
Sergej versuchte gar nicht mehr, sie all den Männern vorzustellen, die ihn bedrängten. Wie sollte er ihr jemanden vorstellen, der ihm die Arme um den Hals schlang und irgendwas ins Ohr brüllte? Die einzige Aufmerksamkeit, die sie erregte, waren laszive Blicke von Männern, deren Lüsternheit sich von ihren Lenden direkt auf ihre Gesichter übertrug.
Inzwischen war es sehr laut im Gogol’s. Von überall waren das männliche Gelächter und das männliche Baritongebrüll von Männern zu hören … die betrunken waren.
Am Tisch neben ihnen saß in der Mitte einer Sitzbank ein großer Mann, etwa fünfzig Jahre alt, wenn Magdalena richtiglag, der sich breit grinsend aufrichtete und ein, zwei, drei, vier Schnapsgläser mit — Wodka? — hinunterkippte und dann ein lautes Ahhhhhh! ausstieß. Sein Gesicht war glühend rot, noch nie hatte Magdalena ein derart selbstgefälliges Grinsen gesehen. Aus den Tiefen seines Schlundes kämpfte sich ein kehlig dröhnendes Lachen ins Freie. Er nahm ein volles Schnapsglas und reichte es der Frau neben ihm … einer jungen oder jung aussehenden Frau … was schwer zu sagen war, wenn eine Frau ihr Haar zu einem Großmutterdutt hochge steckt hatte … sie schaute das Glas an, als wäre es eine Bombe … Von allen Seiten kehliges Dröhnen …
Sergej konnte sich endlich von seinen Bewunderern loseisen und gab Magdalena ein Zeichen. Der baumlange Hausmeier führte sie zu einem Tisch. ¡Dios mío! Das war ein Tisch für zehn … und Magdalena ahnte schon, was kommen würde. Acht Männer und Frauen hatten sich schon niedergelassen, zwei Plätze waren noch frei … für Sergej und sie. Als die Tischgesellschaft Sergej sah, sprang sie auf und brüllte Hussa! und weiß Gott was noch alles. Wie Magdalena befürchtet hatte, hatte Sergej sich der einen lärmigen Verehrertruppe nur entledigt … um sich von der nächsten feiern zu lassen. Sie war nicht glücklich. Sie begann sich zu fragen, ob Sergej sie nur mitgenommen hatte, um sich ihr auf heimischem Terrain als großer Zampano zu präsentieren. Vielleicht war es sogar noch schlimmer. Vielleicht war es ihm vollkommen egal, ob sie beein druckt war oder nicht. Es gefiel ihm eben, so ein abendliches Bad in all der Lobhudelei.
Wenigstens stellte er sie jedem vor … jedem einzelnen Russen Russen Russen … ein großes Konsonantendurcheinander … Sie verstand nicht einen einzigen Namen. Sie kam sich vor, als wäre sie unter einem Berg aus sch und j und k und g und b begraben. Acht fremde Russen … und alle, Männer wie Frauen, schauten sie an wie ein außerirdisches Kuriosum. Was haben wir denn da? Mach was … Sag was … Unterhalte uns … Alle plapperten auf Russisch durcheinander … Ihr gegenüber saß ein Mann mit klotzigem Gesicht und kahler Schädeldecke, von der an den Seiten dichte, anscheinend gefärbte schwarze Haare wild abstanden und an den Schläfen in struppige Koteletten übergingen, die bis hinunter zu den Kinnbacken reichten. Er studierte ihr Gesicht mit fast pathologischem Eifer. Dann wandte er sich an einen Mann, der zwei Plätze weiter saß, und sagte etwas zu ihm, worauf beide anfingen zu kichern … und dabei unverkennbar bemüht waren, nicht laut loszuprusten … worüber?
Auf der Speisekarte standen die Gerichte erst in Englisch und direkt darunter in geschwungenen russischen Buchstaben. Sogar in der englischen Version kannte Magdalena kein einziges Gericht.
Geräuschlos tauchte ein Kellner neben Sergej auf und überreichte ihm ein zusammengefaltetes Stück Papier. Sergej las es, drehte sich zu ihr und sagte, »Ich muss kurz meinem Freund Dimitri Guten Tag sagen. Entschuldigen Sie mich bitte. Ich bin gleich wieder da.«
Zu den anderen sagte er etwas auf Russisch, dann stand er auf und ließ sich vom Kellner zu »Dimitri« führen. Jetzt saß Magdalena allein acht Russen gegenüber, die sie nicht kannte, vier Männern — in den Vierzigern? — und vier Frauen — in den Dreißigern? — mit peniblen Lockenwicklerfrisuren und »festlichen« Kleidern aus irgendeiner längst vergangenen
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