Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Back to Blood

Back to Blood

Titel: Back to Blood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolfe
Vom Netzwerk:
diensteifrigen Lächeln zu überspielen. Er sagte auf Russisch: »Sergej Andrejewitsch, Miss Otero und ich hatten gerade eine sehr interessante Unterhaltung über psychia — «
    »Molchi!« Es hörte sich an wie ein wütendes Bellen. Was immer es bedeutete, Sergej war Schytin so rüde über den Mund gefahren, dass dieser es nicht wagte, auch nur ein weiteres Wort zu sagen. Verblüfft klappte ihm der Kiefer herunter. Sergej schnauzte ihn noch einmal an — jetzt wich die Farbe aus Schytins klotzigem Gesicht. Er wurde weiß vor Angst. Er schaute Magdalena an … und sagte im gesetzten Tonfall des Friedensstifters: »Es tut mir sehr leid … Ich hatte angenommen, Sie wüssten, dass es sich nur um einen kleinen geistigen Wettstreit handelt.«
    Sergej trat ruckartig hinter Magdalenas Stuhl hervor, stützte sich mit den Handflächen auf den Tisch, beugte sich so weit er konnte zum Gesicht des eingeschüchterten Schytin vor und sagte mit leiser, wütender Stimme etwas auf Russisch zu ihm.
    Schytin, dessen Gesichtsausdruck immer angsterfüllter wurde, schaute wieder Magdalena an. »Miss Otero, ich bedauere mein rüdes Benehmen zutiefst. Mir ist jetzt klar —« Er hielt inne und schaute zu Sergej, der noch ein paar zornige Worte hervorstieß, worauf Schytin sich wieder an Magdalena wandte und sagte, »Mir ist jetzt klar, dass ich mich wie ein flegelhaftes Kind benommen habe —« Er schaute wieder Sergej an. Noch ein paar schroffe Worte auf Russisch … und Schytin sagte, »Ich bitte Sie um Verzeihung.«
    Einen Augenblick lang war Magdalena erleichtert über die plötzliche — und vollkommene — Demütigung ihres Peinigers. Aber schon in der nächsten Sekunde beschlich sie ein beklommenes Gefühl. Etwas Merkwürdiges und Krankhaftes war in Gang gesetzt worden. Sergej brüllt ein paar Worte und — Schytin, der große Schachmeister, liegt ihr als unterwürfiger Bittsteller zu Füßen. Die Abhängigkeit von einem Dritten, der ihren Peiniger in die Knie zwingt, war so eigenartig … dass sie sich sogar noch erniedrigter vorkam.
    Vor den Augen Schytins sagte Sergej zu Magdalena, »Ich muss mich für das Verhalten unseres ›Schachmeisters‹ entschuldigen.«
    Das war zu viel für Schytins Frau, eine dunkelhaarige Frau, etwa sein Alter … und um die Schultern und obere Rückenpartie so kräftig wie ein Mann. Sie stieß geräuschvoll ihren Stuhl zurück, stand auf, richtete sich gerade auf … oder zumindest so gerade, wie es jemandem mit so einem Rundrücken möglich war … und warf Sergej einen bösartigen Blick zu. In scharfem Ton sagte sie etwas auf Russisch zu ihrem Mann, der die personifizierte Angst war. Er schaute seine Frau nicht an. Seine Augen waren starr auf Sergej gerichtet.
    Sergej sagte auf Englisch zu Schytin, »Ist schon gut, Olga hat recht. Du gehst jetzt besser. Und ich würde dir empfehlen, das sehr bald zu tun.« Nur Zentimeter vor Schytins Gesicht fuchtelte er ein paarmal mit der Hand herum und sagte, »Won! Won! Won!«, anscheinend russisch für »Hau ab!«.

Schytin stand auf. Er zitterte. In gebückter Haltung nahm er den Arm seiner Frau, dann schlurfte er hastig dem Ausgang entgegen. Er stützte sich auf sie, nicht umgekehrt.
    Sergej wandte sich den sechs verbliebenen Tischgästen zu, dem Mann mit dem rasierten Schädel, der fetten Frau mit dem Tablettbusen, den beiden Frauen mit den Pillbox-Hüten … einem sehr großen mürrischen Mann mit zu schmalem Schädel, eingefallenen Wangen und zu kurzen Hemdsärmeln, aus denen zwei übergroße Handgelenke ragten mit zwei Händen, von denen jede größer war als sein Kopf … und einem kleinen Bullen von Mann, dessen Augen so tief in den Spalten zwischen seinen buschigen Augenbrauen und vorstehenden Backenknochen lagen, dass man sie kaum sehen konnte. Mit einem sehr gespenstischen … und gleichzeitig gut gelaunten Lächeln ließ Sergej seinen Blick über alle sechs Gesichter schweifen, als sei nicht das Geringste vorgefallen … Mit verschiedenen Themen versuchte er ein lockeres Gespräch anzukurbeln, aber sie waren alle zu eingeschüchtert.
    Magdalena fühlte sich gedemütigt. Sie war die Fremde, die die Szene ausgelöst hatte. Wenn ihr irgendetwas Witziges oder Intelligentes eingefallen wäre — wie im Chez Toi — dann wäre das alles nie passiert. Sie wollte nur noch weg aus diesem Restaurant, von dieser Bande Russen. Sergejs Small-Talkversuche bewirkten auch bei ihr nichts. Sie war zu deprimiert.
    Nach ein paar Minuten erfolgloser Bemühungen rief

Weitere Kostenlose Bücher