Back to Blood
Ihr Vater, da war sich Magdalena sicher, war von dem glühenden Verlangen besessen, sich in Luft aufzulösen. Sein Pech, dass er so tief in seinem Lehnstuhl versunken war. Um sich unbemerkt aus dem Staub machen zu können, hätte er ein Akrobat sein müssen. Ihre Kämpfe demütigten ihn. Sie waren vulgär und gewöhnlich. Nicht, dass er sich großartige Illusionen über vornehmes Benehmen machte. Als er und seine Frau sich kennengelernt hatten, war er Dreschmaschinenmechaniker in Camagüey gewesen. Beide waren dort aufgewachsen. Als sie Kuba während der Mariel-Bootskrise verließen, hatte er fünf Jahre als Lastwagenmechaniker in Havanna gearbeitet … und jetzt in Miami war er auch Lastwagenmechaniker. Dennoch hatte er seine Prinzipien. Er hasste diese gottverdammten Mutter-Tochter-Kämpfe … aber er hatte es schon lange aufgegeben, seine beiden Zicken in Zaum zu halten.
Die Mutter führte einen Streich gegen die Tochter. »Reicht es dir nicht, dass ich den Leuten sagen muss, dass meine Tochter jetzt bei einem pornografischen Arzt arbeitet? Seit drei Jahren sage ich ihnen, dass du für richtige Ärzte in einem richtigen Krankenhaus arbeitest. Und jetzt soll ich ihnen sagen, dass du für einen falschen Arzt arbeitest, einen pornografischen Arzt, in irgendeiner kleinen schmierigen Praxis? … und dass du von zu Hause weggehst und mit weiß Gott wem in South Beach zusammenziehst. Du sagst, dass sie eine blan- ca ist. Bist du sicher, dass es kein blan- co ist?«
Die Tochter warf einen ganz kurzen Blick auf die ein Meter fünfzig hohe Tonstatue des heiligen Lazarus neben der Tür, bevor sie parierte: »Er ist kein pornografischer Arzt. Er ist Psychiater, ein sehr bekannter Psychiater, der nur zufällig Menschen behandelt, die von Pornografie abhängig sind. Nenn ihn nicht dauernd pornografischen Arzt! Was weißt du denn schon?«
»Eins weiß ich sicher«, konterte die Mutter. »Ich weiß, dass es dich nicht kümmert, wenn du den Namen unserer Familie in Verruf bringst. Mädchen gehen nur aus einem einzigen Grund von zu Hause weg. Das weiß jeder.«
Magdalena verdrehte die Augen bis in ihren Schädel, reckte den Hals in die Höhe, warf den Kopf in den Nacken, spannte beide Arme an, streckte sie nach unten und stieß einen kehligen Laut aus. Ooooaaaaarrrrrrrmmmmmmmmm. »Du lebst nicht mehr in Camagüey, Estrellita! In diesem Land wartet man nicht bis zur Hochzeit, bevor man das Haus verlässt.« Treffer … Treffer … zweimal innerhalb von sieben Worten. Ihre Mutter erzählte allen Leuten, dass sie aus Havanna stammte, weil jeden Kubaner in Miami als Erstes deine kubanische Familiengeschichte interessierte, wobei mit Geschichte natürlich die gesellschaftliche Stellung gemeint war. Aus Camagüey zu stammen bedeutete, eine guajira zu sein, eine Hinterwäldlerin. Also sorgte die Tochter dafür, dass in praktisch jedem Mutter-Tochter-Kampf Camagüey vorkam — Treffer . Genauso sprach sie ihre Mutter aus reiner Unverschämtheit von Zeit zu Zeit mit ihrem Vornamen an, Estrellita, anstatt mit Mami — Treffer . Und dabei betonte sie besonders gern und lang das wie j gesprochene Doppel- ll. Es-tre-jiiii-ta. Und das hörte sich sehr antiquiert an, Camagüey hoch drei.
»Ich bin vierundzwanzig Jahre alt, Estrellita. Ich habe ein Diplom als Krankenschwester — als man es mir überreicht hat, warst du dabei, wenn ich mich recht erinnere. Ich habe einen Beruf und eine berufliche Zukunft —«
»Seit wann ist Krankenschwester bei einem pornografischen Arzt ein Beruf?« Die Mutter genoss es, dass die Tochter bei dieser Bemerkung zusammenzuckte. »Mit wem hast du denn den ganzen Tag zu tun — mit Perversen! Das hast du mir selbst erzählt … Perverse, Perverse, Perverse.«
»Das sind keine Perversen —«
»Ach, nein? Die schauen sich den ganzen Tag Pornos an. Wie nennst du so was?«
»Das sind keine Perversen! Das sind kranke Menschen, und dafür sind Krankenschwestern da, um kranken Menschen zu helfen. Menschen haben alle möglichen unschönen Krankheiten, wie … wie … HIV . Und Krankenschwestern sind dazu da, sich darum zu kümmern.«
Oh, oh. HIV . Die drei Buchstaben waren ihr kaum über die Lippen gekommen, da hätte sie sie am liebsten sofort zurückgenommen. Jedes andere Beispiel wäre besser gewesen …. Lungenentzündung, Tuberkulose, Tourettesyndrom, Hepatitis, Divertikulitis … egal. Nun ja, zu spät. Mach dich auf was gefasst —
»Ha!«, bellte die Mutter. »Du hast nur mit Perversen zu tun. Jetzt auch
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