Back to Blood
noch maricones! La cólera de Dios! Haben wir etwa dafür die ganzen Schulgebühren bezahlt? Damit du mit diesen besudelten Menschen abchillen kannst?«
» Ab- chillen?«, sagte die Tochter. » Ab- chillen? Man sagt nicht › ab- chillen‹, es heißt chillen.« Magdalena erkannte sofort, dass angesichts des Ausmaßes der anderen Beleidigungen » ab- chillen« die geringste war. Sie musste sie nur ein bisschen auswalzen. Also griff sie zur S-Bombe: die Sprache. »Versuch dich doch nicht immer an Straßendiktion, Estrellita. Dabei kommt nur Unsinn raus. Den Dreh mit dem Slang hast du einfach nicht raus. Man merkt dann immer sofort, dass du wirklich null checkst.«
Ihre Mutter verstummte für ein paar Sekunden. Ihr Mund war leicht geöffnet. Treffer! Magdalena wusste, dass das Thema Sprache sie auf die Palme brachte. Fast immer. Ihre Mutter hatte keine Ahnung, was »Diktion« bedeutete. Hatte Magdalena auch nicht, bis Norman das Wort neulich abends mal benutzt und es ihr dann erklärt hatte.
Ihre Mutter kannte vielleicht »Dreh«, möglicherweise sogar »Slang«, aber »Dreh mit dem Slang« verwirrte sie zweifelsohne, und die Wendung »null checken« rief bei ihr unweigerlich den Gesichtsausdruck hervor, den sie jetzt gerade aufsetzte, welcher, nun ja … sie checkte es eben nicht. Es machte sie rasend, wenn Magdalena sie auf diese Weise herunterputzte.
Magdalena nutzte den Vorteil, den ihr die zusätzlichen Millisekunden Auszeit verschafften, und warf jetzt einen längeren Blick auf den Lazarus. Die fast mannshohe Tonstatue — keine Stein- oder Bronzestatue, sondern eine aus Keramik — war das Erste, was man beim Betreten der casita sah. Was für ein erbärmlicher Heiliger, dem man da ins Gesicht blicken musste. Er hatte eingefallene Wangen, einen struppigen Bart, einen gequälten Gesichtsausdruck und trug einen lilaähnlichen biblischen Umhang — vorne offen, damit man die Leprawunden überall auf dem Oberkörper besser sehen konnte. Zu seinen Füßen lagen zwei Hunde aus Ton. In der Bibel stand Lazarus auf der untersten Stufe der sozialen Leiter … ein Bettler mit Leprawunden am ganzen Körper … der vor den Toren eines grandiosen Anwesens, dessen reicher Besitzer ihn keines Blickes würdigte, um Brot bettelte. Zufällig starben Lazarus und der reiche Mann etwa um die gleiche Zeit. Um etwas klarzustellen — dass nämlich im Himmel der Letzte der Erste und der Erste der Letzte sein wird — und dass eher ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als ein reicher Mann ins Reich Gottes gelangt … schickt Jesus den armen Teufel Lazarus in den Himmel, wo er im »Schoße Abrahams« landet. Den Reichen verfrachtet er in die Hölle, wo er bis in alle Ewigkeit bei lebendigem Leib schmoren wird.
Magdalena wurde katholisch getauft und ist immer mit ihrer Mutter, ihrem Vater und ihren beiden älteren Brüdern zur Messe gegangen. Aber die Mutter war ein echtes Bauernmädchen aus Camagüey. Sie war eine Anhängerin der Santería — einer afrikanischen Religion, die die Sklaven nach Kuba gebracht hatten … voller Geister, Magie, ekstatischen Trancetänzen, Zaubertränken, zerstoßenen Wurzeln, Weissagungen, Verwünschungen, Tieropfern und Gott weiß was sonst noch alles an Hoodoo Voodoo. Anhänger der Santería vermischten ihre Hoodoo-Götter mit katholischen Heiligen. Aus dem Gott der Kranken, Babalú Ayé, wurde der heilige Lazarus. Magdalenas Mutter und Vater waren hellhäutig, wie inzwischen viele Gläubige. Ihre sozialen Wurzeln konnte die Santería allerdings niemals abschütteln … Sklaven und einfältige guajiros . Magdalena nutzte das in den Mutter-Tochter-Kämpfen als praktisches Stichelwerkzeug.
Als sie noch ein kleines Mädchen war, war das nicht so gewesen. Sie war ein schönes, unwiderstehliches, kleines Wesen, und ihre Mutter war sehr stolz auf sie. Dann, mit vierzehn, wurde sie eine sehr schöne, unwiderstehliche Jungfrau. Erwachsene Männer warfen ihr verstohlene Blicke zu. Magda lena liebte das … und wie weit würden sie bei ihr kommen? Nicht einen Zentimeter. Estrellita wachte mit den Augen einer Eule über sie. Wie gern hätte sie ihre Rolle als Anstandsdame wiederbelebt. Es war noch gar nicht so lange her, dass kubanische Mädchen in Miami ohne die Mutter als Aufpasserin zu keiner Verabredung gehen konnten. Das konnte ein bisschen … daneben wirken. Manchmal war nämlich die Mutter-Anstandsdame schwanger mit dem zukünftigen Geschwisterchen der Tochter. Platzend vor guter Hoffnung, erteilte dann
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