Back to Blood
die Mutter der Tochter die ersten sittsamen Lektionen darin, wie die jungen Männer, zu gebotener Zeit, mit gebotener Schicklichkeit, an die Pforten des Schoßes heranzuführen seien. Der dicke Bauch ließ keinen Zweifel daran, dass die Mutter genau das getan hatte, was sie pflichtgemäß bei der Tochter und ihrem gerade aktuellen Beau verhindern wollte. Nicht einmal Estrellita konnte darauf bestehen einen Jungen, mit dem Magdalena ausgehen wollte, zu begutachten. Aber sie konnte darauf bestehen, und tat es auch, dass er sie an der casita abholte, damit sie einen eingehenden Blick auf ihn werfen und ihm, wenn er gar zu zwielichtig aussah, ein paar Fragen stellen konnte. Und sie konnte darauf bestehen, dass er sie um elf wieder nach Hause brachte.
Der einzige »ältere Mann« in Magdalenas Leben war jemand, der gerade mal ein Jahr älter als sie war und einen Hauch von Glamour verströmte, da er jetzt Polizeibeamter bei der Marine Patrol war, nämlich Nestor Camacho. Estrellita kannte seine Mutter, Lourdes. Der Vater hatte sein eigenes Geschäft. Nestor war ein guter Junge aus Hialeah.
Die Mutter fand ihren Verstand und ihre Stimme wieder. »Bist du sicher, dass deine kleine blanca -Mitbewohnerin in South Beach nicht zufällig Nestor Camacho heißt?«
Die Tochter: »Haahhh HHHH !« — so laut und in derart hohem Koloratursopran, dass die Mutter zusammenfuhr. »Da kann ich ja nur lachen! Nestor ist ein guter, gehorsamer, kleiner Junge aus Hialeah. Warum rufst du nicht seine Mutter an, vielleicht will sie ja mitlachen? Aber du kannst die Sache doch gleich hier regeln. Warum holst du nicht deine Kokosnussperlen raus und streust sie unserm alten Lazzy-Boy vor die Füße? Der führt dich nicht in die Irre!« Sie stieß ihren Arm und Zeigefinger wie einen Speer in Richtung der Lazarusstatue.
Estrellita war wieder sprachlos. Auf ihrem Gesicht wurde etwas sichtbar, das über die Grenzen eines Mutter-Tochter-Kampfes hinausging. Es war schwarzer Zorn. Estrellita hatte ihn schon gespürt, als Magdalena Anspielungen auf die Santería machte. Es war eine indirekte Art, sie als ignorante, gesellschaftlich zurückgebliebene guajira hinzustellen. Sie kannte das. Aber nun wurde Magdalena unverhohlen blasphemisch. Sie wagte es, den heiligen Lazarus »Lazzy-Boy« zu nennen. Genüsslich verhöhnte sie die Macht des Glaubens zur Weissagung, die im Ausstreuen von Kokosnussperlen zum Ausdruck kam. Sie machte ihren Glauben und damit ihr Leben lächerlich.
Mit kaltem Zorn, der tief aus ihrem Hals kam, zischte sie, »Du willst ausziehen? Dann tu es. Tu es jetzt. Es ist mir egal, wenn du dieses Haus niemals wieder betrittst.«
»Schön!«, sagte Magdalena. »Dann sind wir uns ja endlich einig.«
Aber ihre Stimme zitterte. Der Ausdruck im Gesicht ihrer Mutter und das Klapperschlangenrasseln ihrer Stimme … Magdalena wagte nicht, auch nur ein einziges weiteres Wort zu sagen … sie musste jetzt raus hier … und das löste ein Beben in ihrer Magengrube aus. Von nun an wäre ihr neues Leben unter den americanos nicht mehr das exotische, aufregende, ungezogene Abenteuer eines freien Geistes … Von nun an wären ihre Wohnung, ihr Gehaltsscheck, ihr gesellschaftliches Leben, ihr Liebesleben abhängig von einem americano . Das Einzige, worauf sie sich verlassen konnte, war ihr gutes Aussehen … und etwas, das sie noch nie im Stich gelassen hatte … bis jetzt … ihr Mut.
Euphorie! hieß die Blase, die Nestor umschloss, als seine Schicht vorbei war und er in seinem alten Camaro in nördlicher Richtung über die Stadtgrenze von Miami nach Hialeah fuhr. Superman! hieß der Held im Innern der Blase. Superman erleuchtete die Blase wie eine Fackel.
Der Polizeichef, Chief Booker, war um Mitternacht den ganzen Weg bis zur Marina gefahren, um ihm mit einem »Gut gemacht, Junge«, die Hand zu drücken!
Hialeah … um Mitternacht … eine dunkle Silhouette aus Reihe um Reihe um Reihe um Reihe und Block um Block um Block kleiner einstöckiger Häuser, den casitas, von denen jede fast genauso aussah wie die nebenan, jede fünf Meter von der anderen entfernt, jede auf einer fünfzehn mal dreißig Meter großen Parzelle, jede mit einer geraden Einfahrt, die bis hinters Haus führte … mit Maschendrahtzäunen, die jeden Quadratzentimeter jedes Grundstücks befestigten … mit kleinen Vorplätzen aus felsenfestem Beton, die mit kleinen venezianischen Steinbrunnen geschmückt waren. Aber heute Nacht ließ der schwebend dahinrollende Camaro ganz Hialeah
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