Backup - Roman
– Oh Scheiße, ich sehe wirklich furchtbar aus, wenn ich heule«, setzte sie nach. »Komm, gehen wir ihnen gratulieren. «
Als ich sie an der Hand nahm, war ich auf eine eigenartige Weise stolz darauf, dass es mir ohne künstliche Hilfestellung gelungen war, ihre Stimmung aufzuheitern.
Dan war nirgendwo zu sehen, als Lil und ich in der Halle auf die Bühne stiegen, wo Debras Ad-hocs und eine Reihe von Gratulanten gerade feierten, indem sie ein Klümpchen Crack herumgehen ließen. Debra war ausgelassener Stimmung. Sie hatte Frack und Hut abgelegt, die Arme um die Schultern zweier Kumpane geschlungen und sich eine Pfeife zwischen die Zähne gesteckt.
Während Lil und ich uns einige unaufrichtige Komplimente abrangen und Tim das Crack-Schälchen mit seinem Streichholz erwärmte, grinste sie breit, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen, nickte und paffte ausgiebig.
»Danke«, erwiderte sie lakonisch. »Es war Teamarbeit.« Sie drückte ihre Kollegen so heftig an sich, dass deren Köpfe fast aneinanderstießen.
»Und wie sieht dein Zeitplan aus?«, fragte Lil.
Als Debra zu einem weitschweifigen Vortrag über kritische Wegstrecken, Meilensteine und
Sondierungsmeetings ansetzte, stellte ich meine Ohren auf Durchzug. Ad-hocs sind verrückt nach diesem organisatorischen Zeug. Ich starrte auf meine Füße, auf die Bodenbretter und bemerkte, dass es gar keine Bodenbretter waren, sondern ein mit Struktureffekt übermaltes Kupfergitter – ein Faradayscher Käfig. Deshalb hatte die HERF-Pistole nichts ausrichten können; deshalb hatten sie so sorglos an Computern ohne Abschirmung gearbeitet. Mit Blicken folgte ich der Kupferabschirmung um die ganze Bühne herum und die Wände hinauf, wo sie in der Decke verschwand. Wieder einmal verblüffte mich, wie abgebrüht Debras Ad-hocs waren, wie gründlich ihre Feuerprobe in China sie gegen jede Art von drittklassigen krummen Touren gewappnet hatte, die grünen Jungs in Florida – mich eingeschlossen – einfallen mochten.
Zum Beispiel konnte ich mir außerhalb von Debras Clique keinen einzigen Personalangehörigen im Park vorstellen, der die Nerven gehabt hätte, ein Attentat zu inszenieren. Als mir das klar wurde, begriff ich auch, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie ein zweites Attentat anzetteln würden – und noch eins und wieder eins. Alles Mögliche, solange man ihnen nichts nachweisen konnte.
Als Debras Redefluss schließlich erlahmte, suchten Lil und ich das Weite. Ich blieb vor dem
Backup-Terminal im Durchgang zwischen Liberty Square und Fantasyland stehen. »Wann hast du zuletzt ein Backup angelegt?«, fragte ich sie. Wenn Debra und ihre Kumpanen es auf mich abgesehen hatten, dann vielleicht auf jeden von uns.
»Gestern.« Lil strahlte tiefen Überdruss aus und wirkte eher wie ein überforderter Gast als wie ein nimmermüdes Ensemblemitglied.
»Mach’s noch mal, ja? Wir sollten wirklich jeden Tag vor dem Mittag- und Abendessen ein Backup machen. So wie die Dinge stehen, können wir’s uns nicht leisten, die Arbeit auch nur eines Nachmittags zu verlieren, geschweige denn die Arbeit einer ganzen Woche.«
Lil verdrehte die Augen. Ich wusste, dass man sich mit ihr besser nicht anlegte, wenn sie müde war, aber diese Sache war zu wichtig, um angesichts ihrer Gereiztheit den Schwanz einzuziehen. »Du kannst es ja ruhig so oft machen, wenn du Wert drauf legst, Julius, aber sag mir nicht, wie ich mein Leben führen soll, ja?«
»Komm schon, Lil, es dauert nur eine Minute, und mir wäre sehr viel wohler dabei. Bitte!« Der bettelnde Unterton in meiner Stimme war mir selbst zuwider.
»Nein, Julius. Lass uns nach Hause gehen und schlafen. Ich will vorher noch ein bisschen an neuen Souvenirartikeln für das Spukhaus arbeiten – vielleicht an Sachen für Sammler.«
»Meine Güte, ist das wirklich zu viel verlangt? Na, meinetwegen. Aber warte wenigstens, bis mein Backup erledigt ist, ja?«
Lil stöhnte und sah mich missmutig an.
Ich trat ans Terminal und gab den Befehl für ein Backup ein. Nichts geschah. Ach ja, richtig, ich war ja offline. Überall an meinem neuen Körper brach kalter Schweiß aus.
Sobald wir zu Hause waren, nahm Lil das Sofa in Beschlag und brummte etwas in der Richtung, sie wolle jetzt an dem neuen Konzept für die Souvenirs arbeiten, ihr sei da soeben eine Idee gekommen. Ich sah verstimmt zu ihr hinüber, während sie in der Ecke saß, subvokal Kommandos eingab, mit den Fingerspitzen in der Luft herumtippte und mich ausschloss.
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