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Backup - Roman

Backup - Roman

Titel: Backup - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Fundamentalisten der Bitchun Society.«
    Aus einer anderen Gesprächsrunde rief Lil herüber: »Erzählen dir die beiden gerade, was für ein Haufen Schlappschwänze wir sind, Julius? Wenn du genug davon hast, warum kommst du dann nicht rüber und rauchst eine mit?« Ich bemerkte, dass sie und ihr Grüppchen eine Crack-pfeife herumgehen ließen.
    »Ach, was soll’s?«, seufzte Lils Mutter.
    »Oh, ich weiß nicht, ob es wirklich so schlimm ist«, warf ich ein. Es waren praktisch meine ersten Worte an diesem Nachmittag. Mir war schmerzhaft bewusst, dass man mich nur aus Höflichkeit eingeladen hatte, dass ich einer von unzähligen Kandidaten war, die jedes Jahr nach Orlando strömten und auf einen Platz in der herrschenden Clique hofften. »Jedenfalls entwickeln die jungen Leute Leidenschaft, wenn es
darum geht, den Park zu warten. Letzte Woche hab ich versehentlich ein Besuchertor zur Dschungel-Flusstour geöffnet, und ein Ensemblemitglied, das nicht älter als achtzehn gewesen sein kann, hat mir einen sehr ernsthaften Vortrag darüber gehalten, dass im Park keine Pannen passieren dürfen. Ich glaube nicht, dass sie dieselbe Leidenschaft für den Aufbau der Bitchun Society entwickeln wie wir – das brauchen sie ja auch gar nicht –, aber sie haben genügend Energie, um diese Gesellschaft in Gang zu halten.«
    Lils Mutter sah mich lange und nachdenklich an, und ich wusste nicht recht, was ich daraus schließen sollte. Ich war mir nicht sicher, ob ich sie vielleicht verärgert hatte.
    »Ich meine, man kann nach der Revolution kein Revolutionär mehr sein, oder? Haben wir nicht alle dafür gekämpft, dass junge Menschen wie Lil nicht mehr kämpfen müssen?«
    »Komisch, dass du das sagst«, erwiderte Tom. Er wirkte genauso nachdenklich wie seine Frau. »Gestern erst haben wir uns über dieses Thema unterhalten. Wir denken daran«, er holte tief Luft und blickte zu seiner Frau hinüber, die nickte, »uns in Kälteschlaf zu begeben. Zumindest für eine gewisse Zeit. Nur um zu sehen, wie viel sich in fünfzig oder hundert Jahren geändert haben mag.«
    Ich empfand eine Art peinlicher Enttäuschung.
Warum vergeudete ich meine Zeit und plauderte mit den beiden, wenn sie dann, wenn’s drauf ankam, gar nicht mehr da sein würden, um Wertungen für mich abzugeben? Doch ich verdrängte den Gedanken gleich wieder. Schließlich unterhielt ich mich vor allem deshalb mit ihnen, weil sie nette Leute waren. Nicht jedes Gespräch muss einen strategischen Zweck erfüllen.
    »Wirklich? Kälteschlaf?« Ich weiß noch, dass ich in diesem Moment an Dan dachte, der Leute, die sich in den Kälteschlaf begaben, für Feiglinge hielt, der es besser fand, mit allem Schluss zu machen, wenn man das Gefühl hatte, man sei verbraucht. Er hatte mich getröstet, als mein letzter lebender Verwandter, mein Onkel, sich zu einem Kälteschlaf von dreitausend Jahren entschloss. Mein Onkel war vor der Bitchun-Ära zur Welt gekommen und hatte sich nie richtig darin zurechtgefunden. Dennoch hatte er meine einzige Verbindung zur Familie, zu meiner einzigen Kindheit und zu meiner ersten Erwachsenenzeit dargestellt.
    Um mich zu trösten, nahm Dan mich nach Ganonoque mit, wo wir den Tag damit verbrachten, mit Siebenmeilenstiefeln durch die Gegend zu streifen, hoch über den tausend Inseln im Osten Kanadas und dem Baldachin aus wildem, feuerrotem Herbstlaub. Wir beschlossen den Tag in einer ländlichen Gemeinde, von der Dan wusste,
dass dort immer noch Käse aus Kuhmilch hergestellt wurde. Tausend Gerüche hingen in der Luft, überall standen Flaschen mit starkem Apfelwein herum, und ein Mädchen, dessen Namen ich längst vergessen habe, ist mir mit ihrem überschäumenden Lachen für immer im Gedächtnis geblieben. Und auf einmal war es nicht mehr so wichtig, dass mein Onkel sich für drei Jahrtausende schlafen gelegt hatte, denn was immer auch geschah, mir blieben die Blätter und die Seen, der prächtige, blutrote Sonnenuntergang und das Lachen des Mädchens.
    »Habt ihr schon mit Lil darüber gesprochen?«
    Rita schüttelte den Kopf. »Bislang ist es nur eine Idee. Wir wollen sie nicht beunruhigen. Sie kann harte Entscheidungen nicht gut verkraften – so ist ihre Generation nun mal.«
    Kurz darauf wechselten sie das Thema. Ich spürte, dass ihnen nicht ganz wohl in ihrer Haut war, da sie mir zu viel anvertraut hatten, mehr als beabsichtigt. Also schlenderte ich umher und schloss mich schließlich Lil und ihren jungen Freunden an. Wir rauchten und kuschelten

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