Backup - Roman
Ich hatte ihr noch nicht gesagt, dass ich offline war. Verglichen mit der Krise, die sie gerade bewältigen musste, kam es mir wie unwichtiges persönliches Gejammer vor.
Außerdem war ich schon früher aus dem Netz geworfen worden (allerdings seit fünfzig Jahren nicht mehr), und meistens reparierte sich das System von ganz allein, wenn man eine Nacht darüber schlief. Falls es am Morgen noch immer nicht funktionierte, konnte ich ja einen Arzt aufsuchen.
Also kroch ich ins Bett. Als mich mitten in der Nacht der Druck meiner Blase weckte, musste ich
in die Küche gehen und einen Blick auf unsere alte Wanduhr im Sterndesign werfen, um die Uhrzeit zu erfahren. Es war drei Uhr morgens. Wann, zum Teufel, hatten wir eigentlich alle Zeitmesser im Haus gelöscht?
Lil war auf dem Sofa eingenickt und beschwerte sich leise, als ich sie aufzuwecken versuchte, deshalb hüllte ich sie nur in eine Decke ein und kehrte allein ins Bett zurück.
Ich wachte verwirrt und mürrisch auf, ohne meinen üblichen morgendlichen Schuss Endorphin. Die lebhaften Träume von Tod und Zerstörung verblassten, als ich mich aufsetzte. Ich zog es vor, mein Unterbewusstsein sein eigenes Ding durchziehen zu lassen, deshalb hatte ich vor Ewigkeiten meine Systeme so programmiert, dass ich, außer in Notfällen, während einer REM-Phase nicht aufwachte. Die Träume hatten in meinem Kopf einen üblen Nachhall hinterlassen. Ich torkelte in die Küche, wo Lil gerade Kaffee kochte.
»Warum hast du mich gestern Nacht nicht aufgeweckt?«, begrüßte sie mich. »Mir tut der Rücken grässlich weh, weil ich auf dem Sofa übernachtet hab.«
Sie hatte die munterforsche Ausstrahlung eines Menschen, der sein Nervensystem jederzeit dazu bringen kann, Endorphine und Adrenalin auszuschütten. Ich hätte am liebsten mit der Faust gegen die Wand geschlagen.
»Du wolltest nicht aufstehen«, erwiderte ich und schenkte mir so nachlässig Kaffee ein, dass die Tasse überschwappte. Gleich darauf verbrühte ich mir die Zunge daran.
»Und warum bist du so spät aufgestanden? Ich hab gehofft, du könntest eine Schicht für mich übernehmen. Das Konzept für die Souvenirs nimmt langsam Formen an und ich würde gern in der Werkstatt der Imagineure vorbeifahren und einen Prototyp anfertigen lassen.«
»Geht nicht.« Als ich mir eine Schnitte Brot mit Käse machte, bemerkte ich im Spülbecken einen Teller voller Krümel. Dan hatte offenbar schon gefrühstückt und war unterwegs.
»Wirklich nicht?«, fragte sie, und mein Blut fing ernsthaft an zu kochen. Ich rammte Dans Teller in die Spülmaschine und schob mir das Brot zwischen die Zähne.
»Nein, wirklich nicht. Es ist deine Schicht – entweder machst du deine Arbeit oder du meldest dich krank, verdammt noch mal.«
Lil wirbelte herum. Normalerweise war ich morgens ein Ausbund an Liebenswürdigkeit, jedenfalls wenn ich mich hormonell aufgeputscht hatte. »Was ist denn los, Süßer?«, fragte sie im Ton einer hilfsbereiten Kollegin. In diesem Moment hätte ich am liebsten auf etwas anderes als die Wand eingedroschen.
»Lass mich in Ruhe, ja? Bastel meinetwegen
an deinem dummen Souvenir rum. Ich hab jedenfalls Wichtigeres zu erledigen. Debra ist nämlich drauf und dran, dich und deine kleine Bande von wackeren Abenteurern bei lebendigem Leibe zu verspeisen und hinterher die Knochen abzunagen, falls dir das noch nicht aufgefallen sein sollte. Um Himmels willen, Lil, gibt’s denn überhaupt nichts, das dich auf die Palme bringt? Hast du keinen Funken Leidenschaft in dir?«
Als Lil blass wurde, sank mir das Herz in die Hose. Etwas Schlimmeres hätte ich wahrscheinlich nicht sagen können.
Lil und ich hatten uns vor drei Jahren bei einem Grillfest kennengelernt, zu dem einige Freunde ihrer Eltern eingeladen hatten. Es war eine lockere Zusammenkunft von Ensemblemitgliedern. Damals war sie erst neunzehn gewesen – dem Äußeren nach und auch in Wirklichkeit – und hatte eine fröhliche, kokette Art, die der Grund dafür war, dass ich sie im ersten Moment als eines dieser hohlköpfigen jungen Dinger im Ensemble abtat.
Ihre Eltern Tom und Rita dagegen waren ein faszinierendes Paar, Mitglieder des ursprünglichen Ad-hoc, das in Walt Disney World die Macht an sich gerissen und eine Bande von reichen früheren Anteilseignern verjagt hatte, die den Park als ihr privates Freizeitvergnügen betrieben. Rita sah wie zwanzig aus, aber sie strahlte eine
Reife und glühende Hingabe an den Park aus, die in krassem Gegensatz zur
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